DREIZEHNTES KAPITEL

LEICHTE KAVALLERIE
Wir lernen, daß in bestimmten Gesellschaftsgruppen auch kleine Scherze großen Erfolg haben können.

Wir brachen später auf, als vorgesehen.
Shandri und ich hatten noch einiges zu regeln und zu besprechen. Mit angemessener Höflichkeit schlug er vor, eine Vorhut von fünfzehn Mann eine Stunde vorausreiten zu lassen, und drei sehr schnelle Reiter als Nachhut eine halbe Stunde hinter uns her.
Ich empfahl, daß der Haupttrupp von Donisl und Martina angeführt werden sollte, mit Trent d'Arby und Loger jeweils als privater Bedeckung. Shandri, der den taktischen Einsatz von Magie nicht gewohnt zu sein schien, fragte nach dem Sinn dieser Anordnung und Donisl erklärte, für einen Feuerspruch brauche man eine kurze Zerit der Vorbereitung und dann freies Gelände vor sich.
Schließlich saßen wir auf. Kukri und der junge Gnom, die mit Martinas Rennkamel zurück zur Burg reiten sollten, verabschiedeten sich. Der jüngere Gnom holte aus seinen Satteltaschen ein neues langes Stück Tuch aus dunkelblauer Seide hervor, und bat Raffaela, dies als Andenken anzunehmen. Raffaela war freudig einverstanden und ließ sich zeigen, wie man den Gesichtsschleier richtig bindet. Der freche Kerl versicherte ihr, daß der Schleier genau zu der Frabe ihrer nachtblauen Augen passe, und daß er ihre aufregende Figur nie vergessen werde.
Kukri machte Raffaela ein sehr wertvolles Geschenk. Er erklärte, er habe sich vor einigen Wochen einen neuen Bogen bestellt, der jetzt wohl schon fertig sein werde. Für seinen alten Bogen habe er keine Verwendung mehr. Er band den Bogen und den Köcher an Raffales Sattel und sprach einen Segenswunsch für den neuen Besitzer darüber. Raffaela, die noch nie zuvor derartiges besessen hatte, aber instinktiv die Bedeutung des Geschenks verstand, bedankte sich und fühlte zögernd über das schwarze Horn des Bogens.
"Er fühlt sich warm an, als ob er lebt". "In Deiner Hand wird er leben, Rafi", sagte der Gnom und gab ihr damit einen bedeutenden Namen, nämlich den der Mondgöttin, die mit ihren silbernen Pfeilen das Herz der Menschen zum Guten oder zum Bösen treffen kann.
Dann ritt er still seinem jüngeren Kameraden hinterher.

Wir waren jetzt keine freie Reisegesellschaft mehr, sondern eine bewaffnete Einheit. Shandri hob die Hand und die Vorhut galoppierte los, um den nötigen Anstand zu uns herzustellen. Als sich der Staub gelegt hatte, ritten auch wir an. Das Trappeln der Hufe, das Knarren des Leders und das Scharren der Kettenhemden klang irgendwie beruhigend und vertraut.
Shandri ließ uns flott reiten, aber nicht zu scharf. Er war offenbar kein Freund strenger Disziplin, aber das brauchte er auch nicht zu sein. Denn seine Leute machten einen guten Eindruck. Sie ritten locker und entspannt, den Helm am Sattel und den Kragen des Kettenhemdes offen. Ich hatte schon von Kommandeuren gehört, die allein mit Kleidervorschriften die Geschwindigkeit ihrer Einheit um die Hälfte verringern konnten.
Nach zwei Stunden ließ Shandri absitzen und seine Leute ein Stück gehen.
Er schritt munter neben mir her und suchte das Gespräch. Er war sich sicher, wir würden einen ungefährdeten Ritt haben. Eigentlich wäre er lieber nach Süden geritten, um die gelb-schwarz-Gestreiften durch den Sand zu jagen, aber in meiner Gesellschaft erhoffte er sich auch einige Kurzweil und einige Belehrung.
Wie sei denn die Geschichte vom Überfall am Kara-Pass nun wirklich gewesen?
Diese Geschichte hatte ich in meiner Gaststätte von vielen Reisenden in ebenso vielen Versionen gehört, und um Shandri einen Gefallen zu tun, erzählte ich ihm die abenteuerlichste Fassung.
Shandri wollte partout nicht glauben, daß das Ganze damit angefangen hatte, daß dem kommandierenden Offizier ein Zügel riß.
Als ich ihm versicherte, alle, die wirklich dabei gewesen wären, würden dies beeiden, freute er sich ungemein. Er wollte gleich heute abend alles Zaumzeug kontrollieren lassen.
Und so geschah es auch. Am späten Nachmittag kamen uns zwei Reiter der Vorhut entgegen. Diese hatte bereits den Brunnen freigelegt, die Pferde getränkt und war im Augenblick zu einem kleinen Erkundungsritt ein Stück weiter nach vorn unterwegs.
Als wir dann den Brunnen errreicht und unsere eigenen Pferde getränkt hatten, war die Vorhut zurück und die Nachhut hatte aufgeschlossen.
Shandri ließ zwei Reiter des Haupttrupps mit Brot und Dörrfleisch versorgen. Sie sollten bis zum Einbruch der Nacht in einem lockeren Kreis um das Lager reiten.
Dann verkündete Shandri, man sei vorgestern vielleicht etwas zu hastig von der Burg aufgebrochen. Er wolle sich überzeugen, daß die Ausrüstung jedes Mannes in Ordnung sei. Die Gnome murrten leise und stellten sich mit ihren Pferden in einer Reihe auf. Wie selbstverständlich stellten sich Loger und Trent d'Arrby dazu, und weil der Barbar je bisher sein Bärenführer gewesen war, reihte sich auch der weise Fontes ein.
Mit scharfem Blick musterte Shandri jedes Zaumzeug und jeden Sattelgurt und faßte hier und dort an, um zu zerren und zu ziehen. Er fand natürlich nichts und wurde, je weiter wir die Reihe entlang schritten, immer zufriedener.

Es wäre auch ein Wunder gewesen, wenn ein Gnom, der im allgemeinen früher reiten als laufen lernt, ausgerechnet die Ausrüstung seines Pferdes vernachlässigt hatte. Auch Logers und selbstverständlich Trent d'Arbys Lederzeug war in Ordnung.
Nur bei dem Schlußlicht Fontes wurde Shandri dann fündig. Er ließ die Zügel des Maultieres durch seine Hände gleiten machte einen kleinen Ruck und hielt das Ende eines Lederriemens in der Hand. Shandri ließ das Ende des Riemens auf den Boden fallen und schüttelte bekümmert den Kopf.
Fontes wurde rot und die Gnomen lachten. Dieses Lachen gab irgendwie den Ausschlag.
Die Truppe, in der wir ritten, schien ausgezeichnet und all- seitig verwendbar. Die Leute hatten einen wachen Blick und waren gut in Form. Sie trugen Bogen oder Wurfspeere für den Fernkampf und Kettenhemden mit leichten Platten sowie Schwerter und Dolche für die Attacke und den Nahkampf. Mit diesen Leuten hätte ich mir zugetraut, ein feindliches Lager wie der Blitz zu überfallen und schnell die Soldkiste des Zahlmeisters zu stehlen.
Aber die Erfahrung lehrt, daß bei einer vielseitigen Bewaffnung und bei einer größeren Anzahl von Leuten immer irgendetwas nicht in Ordnung ist. Außerdem ist es für die Moral der Truppe nicht gut, wenn es bei einer Inspektion nichts zu meckern gibt, und es mindert auch das Ansehen der Offiziere.
Als das Lachen geendet hatte, sagte ich deshalb zu Shandri mit lauter freundlicher Stimme, ich bäte ihn, mit mir die Reihe noch einmal abzugehen, mir sei bei unserem ersten Durchgang einiges aufgefallen.
Shandri stimmte verblüfft zu und die Reiter grummelten wieder. So gingen wir zu dem Anfang der Reihe zurück. Es ist ein altes Leiden, das Kettenhemden den Hals nicht ausreichend schützen. So tragen die meisten leicht gerüsteten Männer eine Reihe von halben Halsringen, die mit Bändern zusammengeflochten werden. Nimmt dazu leichte Seide, ist die Sache sehr haltbar und sieht auch gut aus. Leder scheuert sich dagegen leichter durch.
Nur ist Seide erheblich teurer, so daß sich viele doch mit Leder behelfen müssen, bis sie ihrer Mutter oder ihrer Freundin ein altes Seidenkleid abgeschwätzt haben, das dann in Streifen geschnitten in einer kriegerischen Verwendung sein Ende findet.
Wir gingen nun die Reihe zum zweiten mal durch. Bereits der dritte Mann hatte seine Halsringe mit Leder zusammengebunden, das offenbar schon brüchig geworden war. Wenn man starke Finger hat, ist es ein leichter Trick und sieht mühelos aus. Selbst der Träger merkt keinen Ruck.
Also faßte ich nach dem Halsschutz des Mannes und hielt plötzlich den unteren Ring in der Hand. Ich gab ihm dem Mann zurück und sagte freundlich, er solle doch etwas zur Verbesserung seiner Beziehungen zum weiblichen Geschlecht tun. Bei seinem nächsten Scharmützel solle er versuchen, einen parfümierten seidenen Unterrock zu erbeuten.
Die Gnome lachten, nur Shandri fand die Sache überhaupt nicht lustig. Es war aber nur die Einleitung gewesen. Bei dem sechsten Mann in der Reihe war mir aufgefallen, daß er zwei Köcher an seinem Sattel trug. Ein Köcher enthielt fünf kleine Wurfspeere mit glänzend geölten Schäften. Der andere eine Doppelreihe von Pfeilen, die einen stumpfen Eindruck gemacht hatten. Der Bogen war also nicht seine bevorzugte Waffe.
Die nächsten beiden Reiter sah ich also nur freundlich an und ging dann zu meinem armen Opfer. Ich besah mir seinen Sattelgurt und hatte dabei den Köcher mit den Pfeilen genau vor Augen. Und tatsächlich, ein Pfeil in der vorderen Reihe wies im Rohr des Schafts leichte Risse auf. Ich nahm den Pfeil aus dem Köcher und sah ihn mir mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Wenn der Schaft im Schuß aufreißt, kann das eine böse Sache werden. Das Rohr schneidet die linke Hand des Schützen wie ein Messer oder schlimmer noch, ein dicker Splitter fährt hinein und die linke Hand ist für den Kampf unbrauchbar.
Ich bog den Pfeil leicht zwischen den Händen und er faserte auseinander. Dabei stachen zwei dicke Fasern wie kleine Speere nach oben.
"Na, na", sagte ich, "Du mußt Deine Pfeile öfter wachsen Freundchen. Das hätte ein böses Ende haben können. Doch wir wollen die Inspektion jetzt abbrechen, es ist Zeit für das Abendessen".
"Keiner bekommt Abendessen", brüllte Shandri, "bis nichtjeder von Euch Halunken jeden Pfeil dreimal abgeschossen hat. Pflockt die Pferde auf der Stelle an und dann will ich Eure Bogen singen hören".
Die Gnome nahmen Bogen und Köcher von den Sätteln und gingen finster zum gegenüberliegenden Hang. Der Übeltäter mußte sich böse Worte anhören und versuchte sich halbherzig zu entschuldigen und schimpfte auf großkotzige Kommandeure.
Dann flogen die Pfeile wie ein Schwarm böser Bögel in den Sand des Hangs.
"Du hast eine gute Truppe, Shandri", sagte ich. "Du weißt,wenn man etwas finden will, dann findet man am Ende auch etwas. ich hätte das nicht tun sollen".
"Und ich hätte das mit Bruder Fontes auch nicht tun sollen, Onkel Gregor", erwiderte Shandri.
"Na gut, nun haben wir uns beide entschuldigt. Tu etwas, um Deine Leute wieder aufzuheitern".
Shandri dachte kurz nach und rief dann den Männern zu, das Schießen einzustellen und die Pfeile einzusammeln.
Als die ersten wieder bei dem Brunnen eintrafen, sagte er, die Übung solle mit einem Zielschießen abgeschlossen werden. Er deutete auf einen schweren Brunnendeckel, der neben einem kleineren leichteren die Pferdetränke abgedeckt hatte. Er fragte Trent d'Arby, ob er sich zutraue, den Brunnendeckel von hinten für eine kurze Zeit aufrecht zu halten. Seine Leute sollten zusammen eine Serie von zwei Pfeilen auf den Deckel schießen, und keiner dürfe daneben gehen. Trent d'Arby brauche sich keine Sorgen zu machen. Das fünf Finger dicke Holz würde alle Pfeile auffangen, und trotz des bekannt starken Abschusses eines Gnomenbogens werde kein Pfeil hindurchgehen. Dann wies er fünf oder sechs Gnome an, Trent d'Arby zu helfen, den schweren Deckel ein Stück vom Brunnen weg zu tragen. Der Barbar sah Shandri empört an. Er ging zu dem Deckel, stellte sich davor und spreizte die Beine. Dann hob er das Holz mit einem gewaltigen Ruck allein an und rollte es von der Tränke weg. Die Gnome klatschten Beifall. Shandri zählte einhundertundzwanzig Schritte ab. Auch Martina hatte ihren Bogen geholt. Die Gnome legten den ersten Pfeil auf die Sehne, während der zweite zwischen Mittel- und Ringfinger bereitlag. Sie sahen auf das Ziel und spannten die Bögen.
"Fertig", rief Shandri, "und eins und ... zwei!" Die erste Pfeilwolke schnellte los, die zweite folgte unmittelbar hinterher. Fünfzig Pfeile schlugen gleichzeitig in das Holz ein und Trent d'Arby dahinter wankte. Der zweite Schwarm traf und Trent d'Arby konnte sich nicht mehr halten. Er fiel nach hinten um, und der Brunnendeckel kippte über ihn.
Jubelnd liefen die Gnome zu ihrem Ziel und zogen den Deckel weg. Sie halfen Trent d'Arby auf und klopften ihm den Staub von den Kleidern.
Shandri kam heran und rief: 'Wir werden diesen Brunnen um- benennen. Von heute ab soll er heißen: Der Brunnen zum Ge- strauchelten Barbaren!" Seine Leute johlten.


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(c) 1993 Holger Provos