SECHZEHNTES KAPITEL

ABSCHIED
mit einer interessanten Begegnung un einem traurigen Abschied

Graf Shomen bestand darauf, unsere Eskorte zu verstärken. Shandri lehnte immer wieder ab. Schließlich sei sein Trupp stark genug, um jeden Hund d'Assels, der in der Wüste sabbernd nach dem Knochen suche, zu verscheuchen. Ich meinte zu Shandri, daß es Shomens Weidegebiet sei, durch das wir heute reiten wurden, und bei der dritten Tasse Tee einigte man sich. Shomen würde uns mit zwanzig Mann bis zur nächsten Wasserstelle begleiten. Von diesen zwanzig wurde er jede Stunde zwei Reiter als Meldeposten zurücklassen, falls das Lager doch noch benachrichtigt werden müsse. Shandri akzeptierte dann höflich dieses Ehrengeleit. So ritten wir weiter, und die Leute im Lager winkten und riefen uns herzliche Abschiedsworte zu. Einige der Hütehunde begleiteten uns noch einige Zeit, um ihrerseits dem netten Fontes das Geleit zu geben, und dann waren wir endgültig wieder unterwegs.
Der Weg ging leicht bergauf. Überall sahen wir kleine Herden von Schafen und Kamelen im Gelände verstreut. Graf Shomen machte uns stolz auf eine Pferdeherde in der Ferne aufmerksam, und Shandri sagte, bei den Reiterspielen des Fürsten im vergangenen Jahr hätten zwei von Shomens Pferden einen ersten Preis gewonnen. Dann gelangten wird auf eine Ebene, die sich flach wie ein Brett bis zum Horizont erstreckte. Shandri und Graf Shomen ließen ihre Pferde laufen und kamen nach einiger Zeit erhitzt und fröhlich zurück. Shomen hatte wieder ihr kleines privates Rennen gewonnen. Shomen besann sich dann aber auf seine Pflichten, und als wir abstiegen, um ein Stück zu gehen, gesellte er sich zu den beiden Mädchen. Während des ganzen Fußmarsches unterhielt er sie mit lustigen Geschichten über verschiedene Wettrennen und Reiter-kunststücke. Die Frühlingssonne schien warm vom Himmel. Es war ein schöner Tag.

Am Nachmittag richtete sich Trent d'Arby plötzlich in seinen Steigbügeln auf und sah angestrengt nach vorne. Wegen des freien Geländes hatten wir heute auf eine Vorhut verzichtet und ritten zusammen. Das mochte ein Fehler gewesen sein, denn der Boden war fest und teilweise noch grasbestanden, so daß die Pferdehufe kaum Staub aufwirbelten. Das galt natürlich auch für andere Gruppen.

Was siehst Du?" fragte Shomen den Barbaren. Trent d'Arby legte die Hand über die Augen. "Es sind Reiter. Vielleicht dreißig Mann. Es sind große Leute auf großen Pferden. Sie reiten nicht sehr schnell. Also sind sie wahrscheinlich gepanzert". Das konnten nur d'Assels Leute sein. Shandri rief einen Befehl. Kettenhemden wurden geschlossen, Ringkragen umgelegt und Helme gebunden. Einige unserer Leute sahen nach, ob die Pfeile auch im richtigen Abstand paarweise im Köcher steckten.
Ein Gnom ritt heran und rief, wobei er den Gesichtsschleier unter die Seitenspangen seines Helms stopfte: "Kommandant, die Beute geht doch durch die Kopfzahl?" Ich winkte ab. Es war jetzt Shandris Kommando und er mußte sich vor dem Fürsten verantworten.
Shandri, Graf Shomen und ich hielten Kriegsrat. Der Fürst wollte kein Blutvergießen und keine Komplikationen. Es kam ihm nur darauf an, Raffaela sicher bis an die Grenze seines Gebiets begleitet zu wissen, und dafür hatte er das Nötige veranlaßt.

Shomen bedauerte, eine so schöne Gelegenheit zu verpassen. Er wäre in drei Wellen an den Feind herangeritten und hätte die Pfeile fliegen lassen.
Die Leute hätten sich dann jeweils in Wellen wieder zurückgezogen. Kein einziger Verlust auf unserer Seite und spätestens nach der dritten Welle alle Feinde am Boden oder ohne Pferd.
Aber er beugte sich der Einsicht. Wir würden also auf d'Assels Leute zureiten. Alleine wegen unserer Überlegenheit müßten sie uns passieren lassen. Aber die Kerle wußten, was sie suchten. Sie würden Raffaela erkennen und uns folgen. Wie könnten wir sie verstecken?
"Gar nicht", sagte Loger. "Als Dieb versucht man es zuerst mit Frechheit". Loger erklärte . d'Assels Meute würde die Tochter eines Kanzlers suchen, nicht ein braungebranntes und mager gewordenes Mädchen in einem Reitrock und mit einem offensichtlich langgebrauchten Bogen am Sattel. Der große Magier dort, Meister von Istria, hätte den Fürsten besucht, um ihm einen Dienst zu erweisen. Raffaela sei seine Schwester. Mittlerweile sehe sie ja südländisch genug aus. Die anderen Nicht-Gnomen seien die Begleitung des Magiers. Wenn wir d'Assels Meute passiert hätten, könnten wir immer noch unsere Spuren verwischen.
Shandri stimmte zu und erklärte seinen Leuten unser Vorhaben. Die kampflustigen Gnome waren enttäuscht. Es würde also keine Pfeilwolken geben. Aber wir würden den Feind demütigen und erschrecken. Es sollte so gemacht werden, wie bei den Reitenspielen.
Mittlerweile konnte auch ich die Reiter, die uns entgegenkamen, klar sehen. Das Geld und Schwarz der Überwürfe war unverkennbar. Wir ritten ihnen in einem dichten Haufen entgegen. Die Hufe der Pferde schlugen immer schneller auf den Boden, bis wir Steigbügel an Steigbügel galoppierten.

Dreihundert Meter vor den Gestreiften löste sich unsere Truppe ohne Kommando auf. In Zweierreihen stürmten die Gnome auf d'Assels Leute zu. Kurz vor dem gegnerischen Trupp zügelten sie hart ihre Pferde.
In einem schweigenden Halbkreis standen wir jetzt vor d'Assels Leuten aufgereiht. Deren Anfrührer trieb sein widerspenstiges verschrecktes Pferd mit scharfen Sporentritten eine Länge nach vorn.
"Wir kommen in Frieden", rief er und hob die rechte Hand. "Ich bin Hauptmann Petrass im Dienste des Herzogs d'Assel. Wir verfolgen eine Verbrecherbande, einige Männer und eine Frau. Die Männer sind Diebe und Mörder und die Frau ist eine Giftmischerin. Es ist eine hohe Belohnung auf sie ausgesetzt".
Shandri ritt zwei Schritte nach vorne. Er sprach durch den Schleier: "Dies ist mein Gebiet. Hier übe ich die Gerichts- barkeit aus. Übergebt mir den Steckbrief und reitet nach Hause!"

Hauptmann Petrass lächelte freundlich. Er nahm die Beleidigung, durch den Schleier angesprochen zu werden, nicht zur Kenntnis. Er war ein großgewachsener Mann mit dunklen Haaren, grauen Schläfen und leichtgenarbtem freundlichen Gesicht. .Während er sein Gesicht in ein Lächeln zwang, blieben seine braunen Augen kalt.
"Edler Gnom", erwiderte er, "bitte behindert uns nicht bei unserer Aufgabe. Wir dienen doch alle der Sache der Gerechtigkeit".

Ich kannte diesen Typ. Die Gerechtigkeit, der er diente, war mit Gold und Titeln zu kaufen. Seine Ehre war nur zu kränken, wenn es seinem Herzog genehm war. Shandri zog seinen Schleier etwas nach unten, bis ein kleiner Teil seines Gesichts zu sehen war. "Hauptmann Petrass. Wenn Ihr der Gerechtigkeit dient, dann reitet ungehindert weiter. Doch Ihr verschwendet nur Eure Zeit. In meinem Gebiet ist kein einziger Fremder".

"Es ist schön, mit Euch zu plaudern, edler Gnom", sagte d'Assels Söldling. "Aber wer sind diese Menschen in Eurer Begleitung?"
"Es ist der Große Magier, der Meister von Istria. Er hat dem Fürsten einen Dienst erwiesen. Wir begleiten ihn und sein Gefolge ehrenvoll bis an die Grenze".
"Bitte gestattet, daß ich den Herrn begrüße", antwortete Petrass. "Ich habe in meinem Gefolge auch einen Magier, jedoch niederen Ranges. He, Svenrho, komm her und mache einen Diener vor dem Meister".
Aus Petrass' Gruppe löste sich widerspenstig ein junger Mann mit kurzgeschnittenem dunklen Haar in der Robe eines Zauberkundigen. Petrass und Svenrho ritten auf uns zu.
"Dienstmann", sagte Donisl mit gelangweilter Stimme. "Ich möchte nicht, daß dieser Mann zu nahe an mich heran reitet". Trent d'Arby und ich bewegten unsere Pferde eine halbe Länge nach vorne.
"Seid gegrüßt Meister von Istria", sagte Petrass mit höflicher Stimme. "Ich sehe, daß Ihr eine Frau bei Euch habt".
"Sie ist seine Schwester", grollte Trent d'Arby.
"Ruhig, Dienstmann!" sagte Donisl. "Der Hauptmann versteht, daß ich auf einer solchen Reise nicht auf jede Bequemlichkeit verzichten kann."
Petrass' Augen funkelten. "Svenrho", sagte er zischend. "Zeige dem Meister Deine Ehrfurcht".
Svenrho drängte sich näher heran und ich verspürte den Hauch eines Kribbelns in meinem Kopf, das jedoch plötzlich abbrach. Ich sah auf Donisl. Seine Augen veränderten sich zu Katzenaugen. Sie wurden rund und groß. Aus einer gelben Iris sahen schlitzförmige schwarze Pupillen.
"Nimm meinen Segen, Schüler Svenrho!" sagte er gnädig und hob langsam die rechte Hand. Von seinen Lippen wehte ein unverständliches leises Murmeln. Auf Svenrhos Gesicht erschienen Schweißtropfen.
"Es ist so, wie er sagt, Hauptmann", keuchte er. "Der Meister von Istria mit Schwester und Gefolge".

Hauptmann Petrass lächelte freundlich und wollte etwas sagen. "Vorwärts Männer!" rief Shandri. "Wir haben genug Zeit vertan".
Die Gnome verstanden diesen Befehl sehr wörtlich. Sie ritten geradeaus durch Petrass' Männer hindurch. Auch ich stieß meiner Stute die Fersen in die Seite. Sie streifte Petrass' Pferd. Auf der anderen Seite drängte sich Loger hautnah vorbei, wobei er mir zwinkernd in die Augen sah.
Wir ließen die Gestreiften hinter uns zurück und ritten in einem ruhigen Trab weiter.
Logers Hände waren unter dem Mantel. "Dreiundzwanzig in Gold und Fünfundzwanzig in Silber, und hier ist ein Siegel, Onkel! Meine erste ehrliche Einnahme seit dem Pass".
Ich sah ihn wohlwollend an. "Nur das Siegel für mich, Geselle. Das Geld für Dich und die Armen. Hast Du auch seinen Sattelgurt berührt?"
"Er wird in spätestens drei Stunden vom Pferd fallen, Onkel", sagte Loger und verstaute dankbar seine Beute.
"He, Donisl!" rief er zur Seite. "Was hast Du diesem Svenrho geflüstert?"
"Ich habe für ihn in die Zukunft gesehen , lachte Donisl.
"Ich habe prophezeit, daß in dieser Nacht Feuer vom Himmel fallen wird. Petrass Gruppe wird noch vor Einbruch der Dunkelheit ohne Magier sein".

Martina schüttelte sich vor Lachen. Einige Gnome bestanden darauf, zur Bestätigung d'Assels Siegel zu sehen. Als ich das Siegel in der Hand hochhielt, schlug Yari vor, sich damit eine Soldanweisung auf d'Assels Zahlmeister ausstellen zu lassen und ordentlich abzukassieren. Trent d'Arby drehte sich mehrfach um. Aber am Horizont war nichts zu sehen. Petrass' Gruppe war weitergeritten.

Die fröhliche Stimmung zerbrach, als wir das nächste Wasserloch erreichten. Der Brunnen war offen. Der zer Deckel lag in Stücken in der Umgebung verstreut. Pferde waren so nahe an das Wasserloch herangetrieben worden, daß die Ränder des Brunnens eingetreten waren und Sand das Wasser zugeschüttet hatte.
Shomen weinte. "Mein Vater hat hier mit seinen eigenen Händen drei Wochen gegraben", sagte er. "Wer in der Wüste einen Brunnen zerstört, nimmt anderen das Leben und verdient selbst das Leben nicht. Vergebt mir, ich hätte uns einen heiteren Abschied gewünscht".
Er rief die verbliebenen sechs Männer seines Stammes zu sich. In Shandris Augen stand nackte Wut.
"Shomen", sagte er, "ich bringe die Fremden noch diese Nacht zur Grenze und folge Dir dann mit meinen Männern".
Diese Worte gaben mir einen Stich. Ich erhob meine Stimme, bis sie das Grollen der Gnome übertönte.
"Freunde", rief ich. "Der Fürst hat das Kommando geteilt. Vorhin hat Shandri die Befehle gegeben, jetzt hört auf mich. Der Fürst wünscht keine Toten und keinen Krieg. Der Fürst hat gesagt, verwirrt ihre Wege und treibt sie in den Sand. Jagt ihre Pferde fort und laßt sie kein Wasser finden, bis sie Schwerter und Rüstungen fortgeworfen haben. Sie sollen nackt aus der Wüste gehen, aber sie sollen leben. Dann hat der Herzog keinen nachweisbaren Grund zur Feindschaft gegen den Fürsten. Laßt statt des Hasses den Verstand die Oberhand gewinnen. Und bitte, laßt uns einen würdigen Abschied nehmen".
Die Männer schwiegen.
Dann befahl Shandri abzusitzen. Wir berieten uns im Stehen. Ich würde sofort weiter reiten, während Shomens Melder das Lager alarmieren sollten. Das Weidelager sollte einen Tagesritt nach Norden verlegt werden. Einhundert Männer sollten von dort aus nach Südosten aufbrechen. Shandri sollte zurückreiten und mit Shomen Verbindung halten. Eine Illusion von Wasser und Oasen wurde Petrass Bande immer weiter in den Sand nach Süden treiben. Und heute nacht schon müßten ihre Pferde vertrieben werden.
Dann nahmen wir Abschied.
Martina umarmte jeden von uns und Raffaela begann zu weinen. Auch Fontes schniefte leise. Martina ermahnte Raffaela, täglich mit dem Bogen zu üben, und fuhr dem Mönch durch das Haar. Sie hätte gerne noch einige Wortfeldübungen in der alten Sprache mit ihm gemacht, aber das Schicksal trenne die Menschen manchmal sehr plötzlich. Auch Shandri umarmte Fontes und Raffaela und gab jedem anderen die Hand. Mir steckte er ein längliches Paket zu. Es sei ein Abschiedsgeschenk des Fürsten. Ich sollte es am Rande der Wüste öffnen.
Die Gonme riefen uns einen Reitersegen zu und Shandri hob die Hand nach oben. Am Himmel erschien die Illusion eines kleinen roten Sterns, der uns die Richtung wies. Donisl sagte, wir sollten vorausreiten. Er werde in Kürze nachkommen.
Wir trabten an. Doch nach einem ganz kurzen Stück hielten alle wieder. Wir drehten uns um. Donisl stand mit Martina auf einer Höhe vor dem geschändeten Brunnen. Beide hoben die Hände zu Himmel. Um Martinas Hände war ein gelblich zerfaserter Schein. Der Wind nahm zu und kleine Sandwirbel hoben sich vom Boden ab.
In der Luft lag ein eigenartiges Singen, das lauter und lauter wurde und sich zu einem Heulen steigerte. Der Wind zerrte an unseren Kleidern. Durch den Nachthimmel trieben gelbe Sandschleier und der Mond verdunkelte sich.
Donisl stieg vom Hügel herab und sprang auf seine Stute. Als er bei uns war, ritten wir los.
"Eine schöne gute Nacht, Hauptmann Petrass", sagte Loger.


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(c) 1993 Holger Provos