ZWEITES KAPITEL

in dem es zuerst bergauf geht. Dann aber fließt Blut und ein Kauz erscheint.

Unser erster Reisetag ließ sich gut an. Wir hatten, jedenfalls ich und der Halbelf, üppig gefrühstückt. Unter den schützenden Augen meiner Frau verzehrte Loger zwei Schüsseln Haferbrei, zwei Würste, drei Eier und eine Unmenge Brot. Auch das Mönchlein ließ sich von meiner Frau überreden, nach dem Haferbrei ein Ei zu nehmen. Allerdings nahm Herr von Korvien ihre Bemerkung dazu, er sei ja noch im Wachstum begriffen, etwas übel. Mit siebzehn oder achtzehn Jahren ist man in diesem Punkt noch empfindlich.

Jedenfalls ritten wir frohgemut los, das Mönchlein neben mir, der Halbelf hinter uns. Als er sich seiner Beschützerin so plötzlich beraubt sah, wurde Loger mürrisch und schweigsam. Aber Fontes plauderte munter drauflos und erwies sich als angenehmer Unterhalter. Er war anscheinend von guter Geburt, der vierte oder fünfte Sohn eines Landbarons aus den Hochebenen, dort wo jeder Gerstenhalm nur achtzehn Körner trägt und das Leben hart ist.

In liebevoller Umgebung aufgewachsen, sah seine Familie in der Heimat keine große Zukunft für ihn und empfahl ihm, Krieger oder Mönch zu werden. Da er schon früh geistige Interessen gezeigt hatte, zog er es vor, in den grauen Orden einzutreten, denn die Grundsätze von Demut, Gehorsam und Armut waren für ihn verständlich und entsprachen dem kargen Lebensstil auf dem befestigten Hof seines Vaters.
Er erzählte stolz von seiner Ausbildung in verschiedenen Klöstern, von seiner Sprachbegabung und seinen kalligraphischen Fähigkeiten. Dabei sprach er in Ehrfurcht von seinem Abt, der für ihn wohl ein strenger Ersatzvater war. Der Abt hatte ihm aufgegeben, eine Wallfahrt zu irgendeiner unbedeutenden Kapelle in der Wüste zu machen, das Heiligtum zu reinigen und dort zu beten.
Als uns die Frühlingssonne voll über die Berge entgegenstrahlte, öffnete Fontes ungewollt die tiefsten Kammern seiner Seele und bekannte mit einiger Bedrückung, daß er den Beruf eines Barden ergreifen wolle, wenn er sich nach zehn oder mehr Jahren niederer Mönchsdienste nicht als würdig erweisen sollte, die höheren Weihen zu erlangen. Dabei kämen ihm die geschichtlichen und politischen Kenntnisse, die den Mönchen vermittelt würden, gut zustatten. Außerdem habe er eine schöne Stimme, was der Kantor der Abtei immer wieder betone. Schließlich sei ein Barde auch halb Sänger und halb Krieger. Dieses Bild schien Fontes besonders gut zu gefallen.
Um dem Mönchlein eine Freude zu machen, erzählte ich ihm, ich hätte in meinen Wanderjahren einmal für einige Zeit einen Barden begleitet, einen wahren Kavalier, Liebling der Damen, Schrecken der Krieger und bei den Königen und Herzögen wohlgelitten.

Als ich merkte, wie aufmerksam Fontes zuhörte, spann ich mein Lügengarn weiter und berichtete von gefährlichen Abenteuern, klirrenden Schlachten, Kämpfen mit Drachen und Magiern und romantischen Abenteuern an plätschernden Brunnen in den Höfen prächtiger Schlösser.

So verging der Tag aufs angenehmste, bis wir in die Nähe des Passes gelangten. Der Paß ist eine Wetterscheide. Als wir auf der Paßhöhe waren, zogen dunkle Wolken auf. Bald ritten wir durch strömenden Regen. Ich zeigte meinen Begleitern ein Wäldchen links neben dem Saumpfad, und wir ritten hinein. Meine alte Stute war zu vornehm, um ihr edles Fell zu dicht an die Rinde eines Baumes zu drücken. So wurde ich fast so durchnäßt, als wenn wir weitergeritten wären. Die nervöse Stute des Halbelfen konnte sich nicht entscheiden, welcher Baum den besten Schutz bot, und der junge Loger wurde noch nasser als ich.
Nur der Maulesel des Mönchs drückte sich unter einen Überhang ohne Rücksicht darauf, ob sein Fell etwas schmutziger wurde. Deshalb war Fontes der einzige von uns, der den Regen unbeschadet überstand. Ich sah, wie das Mönchlein einige Zeit mit einem Eichhörnchen schwätzte, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, was es in einem Eichhörnchenkopf Interessantes geben mag. Jedenfalls zwitscherten , niesten und fauchten die beiden ununterbrochen. Plötzlich machte das Eichhörnchen einen Satz und verschwand im Laub.

Fontes erzählte mir später, er habe mit dem Tier über die Vorzüge der Vorratshaltung von Bucheckern gegenüber Haselnüssen diskutiert, bis aus einem feuchten Erdbau ein räudiger Fuchs seine Nase herausgestreckt habe, um einzuwerfen, nur das von einer Haselnußmast lebende Eichhörnchen schmecke auch richtig nussig.
Fontes schien das Problem immer noch zu überdenken, als der Halbelf näherritt. Der Regenguß schien seinen Verstand geschärft zu haben, denn er sprach mich förmlich an: "Alter Herr, ich wußte nicht, daß Lahee zu Eurem Gebiet gehört, und ich konnte es auch nicht wissen. Ich habe in dieser Richtung keinerlei Hinweis erhalten. Ich weiß auch, daß dies mich nicht entschuldigt. Wenn Ihr mir verzeiht, biete ich Euch deshalb von meinen beiden nächsten Einnahmen die Hälfte an, allerdings nach Abzug der Abgaben für die Gesellschaft".
Ich bemühte mich um einen strengen Gesichtsausdruck. "Loger", erwiderte ich, "ich befehle Dir, mich niemals wieder Alter Herr zu nennen, egal ob jemand zuhört oder nicht. Du nennst mich für die zwei oder drei Tage unserer gemeinsamen Reise und später bei jeder zufälligen Begegnung Onkel Gregor. Und von Deinen beiden nächsten Einnahmen werde ich das nehmen, was mir beliebt". "Ja, Onkel Gregor", sagte der junge Dieb, sichtlich froh, nach den Gesetzen seiner Gilde oder welchen Gesetzen auch immer, glimpflich davongekommen zu sein. "Meine nächsten beiden Einnahmen gehören Euch". "Du kannst Dich jetzt schon nützlich machen", sagte ich in onkelhaftem Ton. "Wir reiten heute nicht weiter. Such eine Höhle oder sonst einen Unterschlupf, in dem wir übernachten können". "Ja, Onkel Gregor", meinte der Halbelf, "wir können gleich hierbleiben". Er trieb seine Stute zu dem Überhang, an dem der Maulesel des Mönchs lehnte, griff in den Efeu und zog ihn weg. Dahinter lag die vielversprechende Dunkelheit einer warmen, trockenen Höhle. Ich tat so, als hätte ich alles längst gewußt, brummelte etwas darüber, daß die heutige Ausbildung doch nicht so schlecht sei, wie man allgemein behaupte, und zog meine Stute in die Dunkelheit hinein. Das Mönchlein war sichtlich gekränkt, daß sich die Höhle hinter den Hufen seines Maulesels befunden hatte und machte sich verbissen nützlich.
Er band die Vorderbeine der Pferde zusammen und suchte dann Holz für ein Feuer. Als der Halbelf die von dem Mönch geschlagenen Knoten löste und die Pferde neu anband, wobei er auch noch etwas über trockenes und feuchtes Holz murmelte, zog sich Herr von Korvien beleidigt zurück. Mit zitternder Stimme wies er daraufhin, es sei allgemein bekannt, daß das Schlafen in Höhlen verweichliche. Außerdem müsse er seine Gebetskette noch einhundertmal drehen, um zur inneren Einkehr für die Nacht zu finden. Er hockte sich einige Schritte vor die Höhle in den nur noch leichten Nieselregen und verkroch sich in seiner Kutte, bis er wie ein regloser grauer Stein mit der Dämmerung verschmolz.
Loger versuchte derweil mit Stein und Zunder das von dem Mönch herbeigeschaffte Holz zu entzünden. Als dies zum wer weiß wievielten Male mißlang, fragte er, ob ich es ihm gestatte, das Holz mit einem Spruch zu entflammen. Ich bejahte huldvoll und sah gespannt zu, wie der Dieb seine bisher unentdeckte Fähigkeit ausführte. Ich sah auf die Hände, als sie zu formen begannen, und hörte leider zu aufmerksam auf die Intonation des Spruchs, statt weiter nebenher auf die Geräusche unserer Umgebung zu achten.
In dem Augenblick nämlich, als sich das Feuer im Holzhaufen entzündete, waren die fünf Orks schon bedenklich nahe heran.
Auf ihr erstes Gebrüll flog zwar das Hämmerchen, das ich gelegentlich bei mir trage, dem einen Ork mit der Gewalt eines Drachentritts vor die Brust. Der zweite Ork wurde von dem Ärmeldolch des braven Loger an einen Baum genagelt. Aber die restlichen drei waren schon über das Feuer hinweggesprungen, und wir sahen in ihr Grinsen und auf die rostigen Schwertspitzen vor unseren Nasen.
Da erwachte hinter ihnen ein grauer Stein zum Leben. "Friede sei mit uns, Friede sei mit uns!" hörte ich die helle Stimme des Mönchs und die eisernen Kugeln der Gebetskette wirbelten durch die Luft. Mit meinen vom Feuer geblendeten Augen konnte ich nicht erkennen, ob es sich um einen besonderen Schwung des Handgelenks handelte, oder um gute Fußarbeit. Sicher bin ich mir aber, daß Fontes nur zwei Bewegungen brauchte, um die verbliebenen drei Orks in das Reich der Träume zu schicken. So standen wir vor dem lustig flackernden magischen Feuer und hatten vor uns vier ohnmächtige Orks liegen, wobei der von meinem Hammer getroffene bedenklich röchelte, und der fünfte, mit dem Fell an einen Baumstamm genagelt, leise vor sich hin jammerte. "Ich habe versprochen, nicht zu stehlen", sagte der Halbelf. "Ich habe aber nicht versprochen, keine Beute zu machen".
Er kniete sich hin und begann, die Orks mit schnellen Fingern zu durchsuchen. Er besah sich jeden Dolch, jedes Schwert und jede Keule und warf jedes Stück wieder angewidert auf den Boden. Er fand einige Kupferstücke, die er zurück in schmutzige Taschen steckte. Dann betastete er eine Schwertscheide, zögerte, nahm einen Dolch vom Boden und schnitt das Leder auf. Drei Goldstücke rollten in seine Hand. Ich war gerührt. Auch ich hatte in meiner Jugend gelernt, kleine Dinge mit Sorgfalt zu betreiben.
Nun ging der Halbelf zu seiner Stute und zog mit einer geschmeidigen Bewegung den Anderthalbhänder, der am Sattel baumelte, aus der Scheide. Der schlichte Griff hatte während des Ritts meine Aufmerksamkeit nicht erregt. Die Klinge jedoch war bemerkenswert. Der Form nach war es ein Schwert aus Busan, nicht schwer, aber kräftig und gut zu führen. In der Mitte der Klinge war eine Rinne zur Gewichtsverminderung eingraviert. Als ich die Rinne sah, wußte ich, welcher Akt jetzt folgen würde. Der Akt Drohung und Erpressung. Denn solche Rinnen erzeugen das schönste Pfeifen, schlägt man das Schwert schnell durch die Luft.
Loger ließ nun das Schwert durch die Luft sausen. Er trat zu dem aufgespießten Ork und fing an, in einem schönen und akzentfreien Ogrisch über die Herkunft und die Zukunft der Orkrasse zu referieren, über die besonderen Eigenschaften des Orks und seiner Kumpane hier und über den Vorzug verschiedener Arten der Zubereitung von Orkfleisch. Daß auch das Mönchlein Ogrisch verstand, bemerkte ich an einem Zusammenzucken, als der Halbelf Vermutungen darüber äußerte, wie, wo und warum gerade dieser Ork gezeugt worden sei. Nun war der Ork weichgekocht.
"Herr Soldat", bettelte er, "gebt Gnade. Ich bin sonst ein redlicher Forstarbeiter. Die anderen haben mich verführt!"
Loger machte eine Geste und der Ork verstand. "Junges Herrchen, edler junger Ritter", wimmerte er jetzt, "wenn Ihr mich laufen laßt, verrate ich Euch etwas ganz Wichtiges.
Schwört bei der Schlange, daß Ihr mich leben laßt!" "Nicht bei der Schlange", sagte der Halbelf und hielt die Spitze seiner Klinge über das Feuer.
"Dann bei der Elster", jammerte der Ork.
"Nicht bei der Elster", sagte Loger und fühlte nach, ob die Spitze auch genügend erhitzt war.
"Dann bei der Amsel, verdammt noch mal", brüllte der Ork, "wenigstens bei der Amsel müßt Ihr schwören!" "Ich schwöre bei der Amsel", sagte Loger, " daß ich Dir Dein schmutziges Leben lasse, vielleicht auch das deiner räudigen Kumpane, wenn Du mir wirklich etwas Schönes zeigen kannst".
"Schönes Herrchen", keuchte der Ork, "geht dort rüber zu den beiden Eichen am Weg. Dort haben wir vor dem Überfall ein Paket liegengelassen".
Loger zog mit einem kurzen Ruck seinen Dolch aus dem Holz. Der Ork verdrehte die Augen und rutsche den Stamm herunter.

"Bleibt hier und paßt auf", befahl ich meinen Begleitern, "ich bin gleich zurück".
Mit dem Wurfhammer in der Hand schlüpfte ich in das Gebüsch und schlich in einem kleinen Bogen auf die Zwillingseiche am Waldrand zu. Alle Geräusche waren normal. Nur vom Fuß der Eichenstämme hörte ich ein mühsames Atmen. Wie ein Paket verschnürt und geknebelt lag dort ein Mann. In der Dunkelheit konnte ich nur den dunklen Haarschopf erkennen, durch den sich ein Streifen noch dunkleren Blutes zog. Der Mann war so verschnürt, daß ich es nicht wagte, die Stricke an Ort und Stelle zu durchschneiden. Ich nahm ihn also auf die Arme und lief mit einem lauten "Alles in Ordnung" zu unserem Feuer. Mit einem schnellen Schnitt befreite ich den Mann von dem Knebel. Er spuckte ein paar Stoffetzen aus und keuchte: "Wein bitte, einen Schluck Wein! Diese Schweine haben mich mit einem Fußlappen geknebelt!" Ich wies den Dieb mit seinen geschickten Fingern an, die Stricke aufzuschneiden, und ging zu den Pferden. In meiner Satteltasche hatte ich für Notfälle etwas weit besseres als Wein. Als der Mann einen tiefen Schluck aus der Messingflasche genommen hatte, würgte und hustete er, und Tränen traten ihm in die Augen. Er holte tief Luft und spuckte das, was er noch im Mund hatte, in das Feuer. Das gab einen schönen Effekt. Es geht halt nichts über einen selbstgebrannten und gut gefilterten Zack, selbst wenn er noch verdünnt leicht entflammbar ist.
Insgesamt hatte das gelbe ölige Zeug dem Mann aber gutgetan. Er stand auf und stellte sich vor.
"Kauz", sagte er, "ich heiße Donisl Kauz. Ich bin den Herren für die unverhoffte Rettung aufrichtig dankbar. Ich werde mich bei nächster Gelegenheit sehr erkenntlich zeigen".
Ich stellte mich als Gregor der Wirt vor, den Dieb als Loger Schwarz, reisender Soldat, den Mönch mit seinem richtigen Namen, und fragte nach der Verwundung des Mannes.
"Nur ein Kratzer und eine Beule", erwiderte er, "schlimmer ist, daß diese Kerle mich völlig ausgeraubt haben. Ich bin jetzt so mittellos wie am Tage meiner Geburt, von den dürftigen Kleidern abgesehen, die ich auf dem Leib trage".
Ich sah mir im Feuerschein diese dürftigen Kleider etwas genauer an. Herr Kauz trug eine dunkelgraue, fast schwarze Robe aus allerfeinster Wolle, in dem eleganten Schnitt, den Stadtmagier bevorzugen. Darunter sah man modische Stiefel aus bestem Leder. Allerdings fehlten an seinen Fingern die magischen Ringe, die diese Herrschaften so gerne tragen, auch glänzte an seinem Hals kein Amulett an goldenem Kettchen. So mochte es wohl sein, daß die Orks ihn gründlich gefleddert hatten. Die Gesichtsfarbe des Mannes war dunkler als meine und die der anderen. Auch die schwarzen Locken zeigten, daß Kauz von einer der südlichen Inseln stammte. Er war älter als der Dieb und der Mönch, aber nicht wesentlich, vielleicht Mitte zwanzig.
Aus seiner Tasche zog er ein weißes Taschentuch und säuberte sich das Gesicht. Dann verschwand das Taschentuch wieder unter der Robe, und Kauz zog einen Kamm, zierlich aus weißem Bein geschnitzt, hervor. Er begann, seine dunklen Locken zu kämmen, wobei er jedesmal zusammenzuckte, wenn er die Beule berührte. Eigenartig, daß die Orks diesen Kamm übersehen hatten. Üblicherweise nimmt diese Rasse, wenn sie denn schon auf Raubzug geht, alles, was sich auch nur für ein Kupferstück verkaufen läßt.
Währenddessen machte sich Fontes offensichtlich Sorgen um die niedergeschlagenen Orks. Mit der linken Hand hielt er den Saum seiner Kutte hoch und stakste zwischen ihren Körpern herum, wie ein Storch im Sumpf. In seiner rechten Hand schwang die Gebetskette hin und her und die Eisenkugeln klickten, wenn sie aneinanderstießen.

Kauz fühlte sich nun wieder präsentabel und damit auch aktionssfähig. "Ich sehe, daß die Großzahl der anwesenden Gäste Euch Kummer macht", sagte er in Richtung des Mönchs und des Diebes, "gestattet mir, die überzähligen zu verabschieden".

Er griff den nächsten Ork an seinem schmutzigen Hemd und zog ihn hoch. Dann versetzte er ihm zwei schallende Ohrfeigen. Der Ork blinzelte etwas, tat aber so, als wäre er weiterhin bewußtlos.
"Hört alle her", brüllte Kauz, völlig sicher, daß jeder Ork die Menschensprache verstand. "Ihr werdet alle verschwinden, ganz schnell und ganz weit weg. Zurück unter den feuchten Stein, unter dem ihr einst an einem unglücklichen Tag hervorgekrochen seid".

Dann begann er, mit wirbelnden Worten einen Spruch zu intonieren.
Da ich gelegentlich einmal ein allgemeinwissenschaftliches Werk über Magie gelesen hatte, meinte ich herauszuhören, daß es sich um einen einfachen Furchtzauber der ersten oder zweiten Stufe handelte. Einfach zu sprechen, sicher in der Wirkung, aber nur für wenige Stunden anhaltend. Dem Magier fiel aber eine überraschende kleine Verstärkung ein. Während er noch sprach, hatte er mit der linken Hand den Ärmeldolch des Diebes aufgehoben, an dem noch reichlich Orkblut klebte.
Sofort nach dem Ende des Furchtspruchs sprach er blitzschnell einen Reinigungsspruch über den Dolch. Das Orkblut verdampfte zischend. Keine Rasse riecht gern den Geruch des eigenen Bluts, dahinter steckt eine begreifliche Urangst, schon garnicht den Geruch von verbranntem Blut.
Die Orks waren auf den Beinen, noch während sich die Rauchwolke entwickelte. Sie rannten kreischend in den Wald, auf den Paßweg und dann über das Geröll den Berg hinauf.

"Ich glaube, sie werden noch drei Tage rennen", sagte der Magier und sah sich beifallheischend um.
"Wahrlich, ein feines Stück Magie", antwortete der Dieb. "Ihr habt uns stark beeindruckt, Herr Kauz". Er nahm seinen Ärmeldolch vom Magier entgegen und prüfte ihn mit zusammengekniffenen Augen. "Die Orks rennen, und der Dolch ist so sauber, als wäre er nie benutzt worden". Der Dolch verschwand mit einer fließenden Bewegung.

Ich hob den Proviantsack von meinem Pferd und wies Fontes an, endlich abzusatteln. Was meine gute Frau überreichlich für drei Personen eingepackt hatte, würde auch für vier Personen noch reichlich sein. Der Dieb hockte sich auf einen Stein und holte einen Lappen aus der Gürteltasche, der leicht nach Nelkenöl roch. Dann begann er, seinen Anderthalbhänder zu säubern. Immer wieder fuhr er mit dem Lappen die Klinge entlang. "Herr Kauz", sagte er plötzlich, "mir ist etwas aufgefallen. Obwohl Ihr beraubt worden seid, habt Ihr weder die Orks durchsucht, bevor Ihr sie verscheuchtet, noch habt Ihr uns gefragt, ob wir einen Teil Eures Eigentums bei den Kerlen sichergestellt haben".

Der Magier wurde nicht einmal verlegen. "Nehmt an", antwortete er dreist, "ich hätte mich vorhin unter dem Eindruck der Beule auf meinem Kopf geirrt, und meine Taschen hätten die besondere Eigenschaft, daß außer mir niemand hineingreifen kann".
"Dann wäre es an der Zeit", sagte der Dieb, " daß wir noch einmal über Eure vorhin angedeutete Dankbarkeit sprechen, für die unverhoffte Rettung nämlich, wie Ihr es vorhin zu nennen beliebtet".
"Nun gut", sagte der Magier, "ich trage zehn Goldstücke bei mir, das ist meine ganze Barschaft".
"Unverhoffte Lebensrettungen kosten in diesem Landstrich aber mindestens dreihundert", sagte der Dieb.
Bei der Nennung dieser Summe zuckte die Hand des Mönchs vor Schreck an die Gebetskette, und mir rutschte ein Holzteller aus der Hand. Der Magier kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. In meinem Kopf spürte ich ein leichtes Kribbeln. In meinem Gasthaus hatte ich einmal betrunkenes Geschwätz gehört, daß man sich so fühlen soll, wenn ein ausgebildeter Geist nach der Gesinnung des anderen forscht. Meine beiden Begleiter schienen nichts zu spüren, und mir war es gleichgültig. Der Mann, der so nach meiner Gesinnung forschte, würde Pergament und Feder brauchen, drei Seiten Notizen und eine Zeichnung, und könnte auch dann nur zu einem ungefähren Ergebnis kommen.

"In was für eine Gesellschaft bin ich geraten!" rief der Magier. "Ein Mönch, ein Dieb und ein pensionierter Jahrmarktsringer. Ich hätte lieber bei den Orks bleiben sollen!"
Als Loger diese unverschämte Beleidigung meiner hochachtbaren Person hörte, steckte er den Öllappen weg. Seine Waden spannten sich zum Sprung. Die Finger des Magiers streckten sich, als wollten sie von neuem ihren Tanz beginnen. Ich griff ein.

"Wir sind hier nicht in einem Kindergarten, meine Herren", sagte ich mit fester Stimme. "Wenn Ihr Euch prügeln wollt, tut es nicht in der guten Stube, sondern nach dem Essen draußen. Ich befehle Frieden!"

Der Dieb, noch immer in dem Glauben, er stünde jemand Hochgestelltem gegenüber, sackte in sich zusammen. Der Magier mißdeutete vielleicht die Stellung meiner Finger. Ich muß sie gelegentlich lockern, wenn das Rheuma anfängt, mich zu plagen.
Auch er entspannte sich. Fontes griff nach einem Kanten Brot und versuchte, die Situation zu retten. Er forderte alle auf, endlich zuzugreifen, und bemühte sich, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Er plapperte, daß er Magier wegen ihrer strengen Ausbildung, die in manchem dem Schriftenstudium der Mönche ähnele, sehr bewundere, und daß es wohl schrecklich schwer sein, die Magie zu beherrschen. Er selbst kenne nur einen Spruch für das Heilen leichter Wunden, der zudem seine Kraft aus anderen Quellen beziehe. Der Soldat Loger aber wisse, wie er es heute abend gezeigt habe, sogar einen echten Feuerspruch, der gut funktioniert habe, und so weiter und so fort.
Ich unterstützte Fontes in seinem Bemühen und fragte den Magier nach seiner Schule und seinen Lehrern. Dieser überging die zweite Frage geschickt und beantwortete die erste langatmig dahin, er habe seine Ausbildung in dem Zirkel von Kalithera auf der Insel Tass erhalten, einer wundervollen Schule.
Die anfangs stockende Unterhaltung wurde heiterer, als ich drei Hühnchen und eine Flasche Wein aus dem Sack holte. Nur Fontes blieb tapfer bei Brot, Käse und Wasser, schien uns anderen aber nichts zu neiden. Am Schluß unseres Abendmahls hatte ich eine rundherum satte und friedliche Gesellschaft vor mir.

"Bitte regt Euch nicht auf, Herr Kauz", sagte ich, "wenn ich jetzt doch wieder auf den Preis für die Rettung Eures Lebens zu sprechen komme. Die Sache wäre tatsächlich rund dreihundert Kronen wert, wenn man sie in Auftrag geben und dann hätte bezahlen müssen. Ich jedoch will keine Bezahlung, der Mönch darf nur für seinen Orden Geld annehmen, und Ihr tragt sicherlich keine dreihundert Goldstücke in Euren Taschen. Doch dieser meisterlich gesprochene Furchtzauber von vorhin wäre für den Soldaten Loger bestimmt ein entsprechender Wert und nützlich für sein Kriegerhandwerk. Diktiert ihm den Spruch auf ein Pergament und übt ihn mit ihm ein. Ihr würdet mir damit einen Gefallen erweisen. Dir, Loger, befehle ich, die ganze Nacht für uns zu wachen, denn Du hast mich mit Deiner Streitlust eben verärgert".

Der Dieb und der Magier blickten sich scheel an, waren es aber dann zufrieden. Fontes packte den Proviantsack und räumte auf. Ich rollte mich in meine Decken. Wir würden eine sehr ruhige Nacht haben. Selbst ein Drache würde einen weiten Bogen um unsere Höhle machen, wenn ein verkorkster Furchtspruch nach dem anderen von Logers Lippen in den Wald flatterte.


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(c) 1993 Holger Provos