SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Das Übersetzen mit dem Floß war problemlos aber langwierig. Mit der ersten Ladung schafften wir Martinas und Donisls Gepäck nach drüben. Martina hockte auf den übereinandergestapelten Sätteln und hielt krampfhaft Donisls Satteltasche mit seinen magischen Utensilien fest. Trent d'Arby und Donisl, der sich jetzt klugerweise wieder zum gemeinen Volk zählte, schwammen nebenher und lenkten das Floß an das andere Ufer. Der Barbar bemühte sich sehr, das Floß ruhig zu halten. Es hätte ihm bestimmt gefallen, Martina in der Flußmitte durch Schaukeln an den Stämmen zu erschrecken, aber er war sich der Gefahr bewußt. Donisl hatte unmißverständlich klargestellt, daß er es sehr übelnehmen würde, wenn seine Satteltaschen auch nur einen Spritzer abbekämen. Die Drei mit dem Floß trieben ein Stück ab, aber wegen der schwachen Strömung war die Abtrift nicht schlimm. Ich sah wie sie das Gepäck am anderen Ufer abluden. Trent d'Arby zog das Floß nachher ein Stück stromaufwärts und ließ sich dann zurücktreiben. Diesmal luden wir seine und Logers Sachen auf. Loger schwamm mit. Fontes hockte halbnackt auf einem seiner Maultiere und rief die Herde zusammen. Dann trieb er sein Maultier in das Wasser und die Pferde folgten. Als ich als Letzter übersetzte, wirkte Trent d'Arby, der nun zum achten mal an diesem Tag den Fluß durchschwamm, etwas müde. Er räumte aber ein, es sei doch ganz angenehm, drüben trockene Sachen anzuziehen und auf einem trockenen Sattel weiterzureisen. In jüngeren Jahren hätte er für eine Flußüberquerung nicht einmal den Kinnriemen seines Helms gelockert, aber mit Mitte zwanzig werde man doch schon etwas bequem. Man sieht, das Gefühl für das eigene Lebensalter ist recht relativ. Als wir drüben anlangten, waren Martina und Loger schon gerüstet und die meisten Pferde waren gesattelt. Ich half dem Barbaren bei dem Binden der Platten und er half mir nachher in mein Kettenhemd. Fontes hatte netterweise meine Stute gesattelt und belud jetzt meinen Wallach. Dann ritten wir weiter.

Es war schon später Nachmittag geworden, aber auf dem fast ebenen Gelände kamen wir gut voran. Trent d'Arby ritt in stolzer Haltung mit kühnem Blick, so als ob er das Land seiner Untertanen besichtigte, und machte hier und da zu Loger eine Bemerkung, dieser oder jener Platz sei doch sehr geeignet für ein nettes kleines Dorf. Ich war durchaus zufrieden. Er wuchs allmählich in die richtige Einstellung und paßte seine Vorstellung von der Besiedelung des Landes den meinen an. Gegen Abend stieg das Gelände sanft an und wir übernachteten am Rande des Tals.

Ob aus Gewohnheit oder aus wachsender Unruhe, jedenfalls weckte uns Fontes diesmal wieder vor Sonnenaufgang. Wir waren unterwegs, bevor die ersten Strahlen der Sonne über die Hügel stachen. Eine Stunde lang ging es flott die Hügel hinauf, dann erreichten wir eine weite Ebene mit wenigen Wäldern und weiten Grasflächen. Ein richtiges Pferdeland, wie Martina treffend feststellte. Der Morgenwind gab uns Auftrieb für einen schnellen Ritt und später wurde der Tag nur sommerlich warm, aber nicht sonderlich heiß. So machten wir erst am Nachmittag eine kurze Pause. Fontes breitete seine Karte aus und zeigte mit dem Finger auf die letzte eingetragene Markierung. Es war der Tafelberg vor uns, den wir in einer oder anderthalb Stunden schnellen Ritts erreichen wurden. Dann hörten die Eintragungen auf der Karte auf. Auf den Berg hinauf führte ein jedenfalls der Karte nach gut markierter Weg, der an einem scharfen Einschnitt in der Flanke des Berges begann. Ich meinte, die Stelle von hier aus schon sehen zu können. Die Schlucht hatte auf der Karte einen Namen und hieß sinnigerweise Galgenklamm. Als wir die Stelle dann erreichten, sahen wir, daß irgendjemand versucht hatte, dem Namen einen grausigen Hintergrund zu geben. Denn am Beginn der Schlucht stand ein verdorrter alter Baum, der einen kahlen dicken Ast über den Weg streckte. An den Wurzeln des Baumes war ein Schädelhaufen aufgetürmt. Doch der böse Geist war seit zwei Tagen vertrieben, und die Schädel bestanden nicht mehr aus blanken Knochen sondern aus zerbröckelndem Lehm. Loger hatte Svenrho den Grasspruch entweder heimlich abgekauft oder wahrscheinlicher noch abgepreßt und sprach ihn nun mit großen Gesten und lauter Stimme fehlerfrei auf den Lehmhaufen. Und schon wuchsen durch das trockene Geröll und die leeren Augenhöhlen die ersten grünen Halme. Und vielleicht, weil Donisl bei Beginn des Spruchs beifällig gelächelt hatte, brachen einige längst verdorrte Knospen an den Ästen des Baumes auf und kleine Blätter begannen sich zu entrollen.

So ritten wir frohen Muts einen sprudelnden Bach entlang die Seite des Tafelbergs hinauf. Logers gute Laune und seine Freude über den gelungenen Spruch wurden noch größer, als wir an einem finsteren Höhleneingang neben dem Weg die sorgfältig angelegte Spur eines Drachenschwanzes fanden und eine halbe Stunde weiter vor einer noch dunkleren Höhle den klaren Abdruck einer Drachenklaue im Sand. Loger meinte herablassend, die Sache sei zwar ganz ordentlich gemacht und könne ängstliche Gemüter täuschen, aber er hätte, wenn schon denn schon, die Spur eines schwarzen Drachen gelegt. Dies hier sei die Spur eines Kupferdrachen. Martina bat den Gesellen von der Bruderschaft der Schlange um Aufklärung und Loger stieg von seinem Pferd. Mit einem Stöckchen in der Hand hielt er eine Vorlesung über die Klauenabdrücke der verschiedenen Drachenarten. Schwarze Drachen streiften mit ihren Klauen achtlos über den Fels und zermalmten das Gestein. Der Goldene Drache würde kaum mehr Spuren hinterlassen als eine etwas zu groß geratene Wildkatze, denn er schwebe graziös über dem Boden und berühre die Erde eigentlich nur der Form halber. Der Kupferdrache sei fast so gutmütig wie der Silberne Drache und trete zwar kräftig auf, aber denke doch fast immer daran, die Klauen einzuziehen. Wenn er als Dieb unerwünschte Reisende hätte abschrecken wollen, würde er die schrecklichen Spuren eines Schwarzen Drachen nachahmen, oder die schleimige Spur der großen grünen Schlange, nicht aber den Tritt eines Kupferdrachens. Diese Kerle seien zwar groß und gefräßig, aber letztendlich bei richtigem Auftreten so verträglich, daß man bei guten Sicherheiten dem Gerede nach sogar Kredit bei ihnen aufnehmen könne. Ich hatte auch von dieser Geschichte gehört und fragte Loger boshaft, ob denn der alte Herr Graf Wi nun endlich seine Schulden zurückbezahlt habe. Loger erwiderte säuerlich, mit Kapital und Zinsen schon. Lediglich wegen einer unberechtigten Zinseszinsforderung hielte sich Graf Wi zur Zeit nicht gerne in der Öffentlichkeit auf.

Jedenfalls würden wir hier einen Kupferdrachen treffen, hätten wir bei höflichem Benehmen nur etwas Gebrüll und Flammen zu erwarten und die Forderung nach einem kräftigen Wegezoll. Mehr aber sicher nicht. Ich faßte nach dem beruhigenden Gewicht meiner Börse und war erleichtert. Loger warf sein Stöckchen weg und saß wieder auf. Auf der Höhe des Tafelberges hatten wir einen wunderbaren Blick in das von der Abendsonne beschienene Tal. Doch hier oben wehte ein scharfer Wind. Wir folgten dem Bächlein bis zu seiner Quelle und fanden dort hinter einer engen Felsverwerfung Schutz. Es war gerade genügend Gras da, um die Pferde notdürftig zu versorgen. Am Feuer begann Fontes dann aus dem Buch der Drachen zu rezitieren, von der großen grünen Schlange, die mit dem Teufel im Bunde steht und die Menschen mit ihrem Giftatem verbrennt, von der Bosheit und der Angriffslust des Schwarzen Drachen und von den Kupferdrachen, die mit ihrem Gluthauch ganze Armeen in die Flucht treiben, bis Trent d'Arby unter seiner Decke erbost um Ruhe bat. Er habe schließlich die dritte Wache.

Ich ging am Feuer auf und ab und beobachtete die Schläfer. Ein Freund aus meiner Jugendzeit hatte einmal gewagt, unerlaubt in das Gebiet eines Drachen einzudringen. Obwohl er ein gewaltiges Zauberschwert führte und sein Kettenhemd von Elfen bei Neumond geschmiedet worden war, hatte er schändlich fliehen müssen. Sein linkes Bein schmerzte heute noch bei dem Gedanken an die Berührung mit dem Feuer. Bei seiner Erzählung hatte es mich geschaudert und ich hatte förmlich den heißen Drachenodem um mich gespürt. Würde ich einmal einem Drachen begegnen, ich wurde mich auf der Stelle umdrehen und nur noch laufen. Trent d'Arby schnarchte und Fontes hatte sich aus seinen Decken gewickelt. Ich deckte ihn wieder zu und er atmete ruhig.

Das Feuer brannte langsam herunter. Als Donisl die zweite Wache übernahm, war es völlig dunkel und er fuhr mit der Hand durch die Luft, um einen fahlen gelben Schein um das Lager zu legen. Ich war noch nicht in der richtigen Verfassung für die Nachtruhe. So sagte ich zu Donisl, ich würde erst einen kleinen Rundgang um das Lager machen, raffte meinen Mantel zusammen und ging los. Die Kuppe des Tafelberges war fast völlig eben. Nur einige Felsbänder hoben sich kaum mannshoch aus dem verwitterten Untergrund und hier und da war ein kleiner Graben. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich schon mit langen Schritten sicher gehen. Ich sprang über einen Graben. In meinen Jugendjahren hatte ich mich einige Zeit als dritter oder vierter Gehilfe eines königlichen Forstaufsehers verdingt. Der Mann hatte Felix geheißen oder so ähnlich, war groß und rundlich gewesen und trotz seiner gemütlichen Statur immer in Bewegung. Sein dümmster Spruch an uns Gehilfen war sein ständiges: "Wirbelnde Beine will ich sehen."

Wenn wir unsere Streifen durch den Forst zogen, bestand er darauf, daß wir mit ihm liefen. Er selbst lief natürlich mit rotem Kopf und schnaufend mit, hatte aber einen sicheren tänzelnden Schritt, der ihm bei unseren gelegentlichen Stockkämpfen einen großen Vorteil verschaffte. Als ich nun über den Graben sprang, dachte ich an den alten Felix und begann zu laufen. Auch meine Statur ist jetzt eher vollschlank und auch ich fing nach einiger Zeit an zu schnaufen. Aber mein Schritt war noch sicher genug. So machte mir das Laufen Freude, und ich sprang wie in jenen fernen Tagen über die Unebenheit des Geländes.

Ich war im schönsten Lauf und keuchte glücklich, als ich eine rasselnde scharfe Stimme hörte: "Hab ich Dich, Menschlein!" Meine Füßen verwirrten sich vor Schreck, ich knickte mit dem linken Bein um und stürzte schwer zu Boden, in einen scharfkantigen Graben, der sich gerade in diesem Augenblick vor mir auftat. Dieser Sturz rettete mir das Leben. Eine heiße Flamme fuhr über mich hinweg und verbrannte die Erde. Ich roch den Qualm des verbrennenden Grases und den unangenehmen Geruch meiner eigenen Haare, die in meinem Nacken verkohlten. Mein Hammer war in meiner Hand und ich kroch mit schmerzenden Knochen den Graben entlang, so schnell ich nach diesem schlimmen Sturz konnte. "Komm heraus, Mensch!" brüllte der Drache. Ich bemühte mich, flach zu atmen und kroch weiter. Ich hörte ein furchtbares scharrendes Geräusch, als der Drache seinen geschuppten Bauch über den Graben schob, aber ich war schon ein gutes Stück weiter. Der Drache pumpte mit heulendem Atem für den nächsten Flammenstoß.

Jetzt war ich am Ende des Grabens angelangt. Ich zählte das dritte Atemholen der Bestie. Ich warf mit aller Gewalt den Hammer. Mein gutes, mein liebes Hämmerchen traf den Drachen genau am Ende des dritten Atemzuges krachend auf den feisten Wanst und der zweite Flammenstoß schoß ungezielt ins Leere. Ich sprang auf und lief um mein Leben. In meinem linken Bein waren stechende Schmerzen. Mein Hämmerchen schwebte einen Schritt vor mir, damit ich es bequem wieder greifen konnte. Ich faßte zu. Hinter mir brüllte der Drache vor Wut. Er schrie eine Flut von wüsten Beschimpfungen hinter mir her, die ich sicher besser gewürdigt hätte, wenn ich nicht hätte laufen müssen, und wenn in Pimpardils Seminar über die Lyrik der Drachenvölker nicht jenes üppige glutäugige Wesen aus dem Ostreich eine Reihe unter mir gesessen hätte.

Jetzt erinnerte ich mich genau. Sie hieß Rosi und hatte eine fabelhafte Figur. Es war ein warmer Sommer gewesen und die Studentinnen trugen leichte Kleider. Rosis Kleid war besonders leicht gewesen. Sie hatte nach ihrem Examen einen Kavallerist geheiratet. So viel Verschwendung von Schönheit und Geist. Ich hinkte nun völlig außer Atem um einen Felsvorsprung, als sich die Situation schlagartig änderte.

Donisl trat aus dem Schatten des Felsens heraus. Um seine Finger flackerte ein böser weißer Glanz. "Hab ich Dich, Drache!" sagte er genußvoll. Links stand Trent d'Arby. Die Klinge seines Schwertes schien zu leben und verbreitete ein schwaches weißliches Licht um seine braunen Panzerplatten. Rechts kam Loger hervor. Er mußte meinen Schwertgurt vom Feuer gegriffen haben, denn in seinen Händen zuckte etwas kaum sichtbares schwarzes und zog ihn nach vorne. Der Drache kam rutschend zum Halt und fauchte wild. Seine Schwanzspitze zuckte hin und her und zerschlug das Gestein.

Donisl hob langsam die Hände und ich stand keuchend da und versuchte, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Martina schob mich zur Seite. Hinter ihr ging Fontes, die Kapuze über den Kopf gezogen und die Gebetskette in der Hand, wie der Hofgeistliche einer Hoheit. Martina machte einen Knicks und warf dabei den Mantel mit einer schwungvollen Bewegung nach hinten.

"Ich bin Martina, die Enkelin des Fürsten von den Kalten Steinen", sagte sie in einem feinen förmlichen drachisch. "Da unsere Gesellschaft Euch Edler Herr gegenüber jetzt eine günstige Position einnimmt, schlage ich eine zeitweilige Unterbrechung der Feindseligkeiten und Verhandlungen vor".

"Akid, Kupferdrache, stets zu Euren Diensten, Edle Dame", erwiderte der Drache automatisch. Doch dann brüllte er wieder auf. "Ich verbrenne Euch Menschen. Ich zerreiße Euch mit meinen Klauen. Ich zerfetze Euch mit meinem Schwanz!" "Schnell, Akid Kupferdrache!" sagte Martina. "Mein Magier kann seinen Spruch nicht mehr zurückhalten und meine Kämpfer werden von ihren Schwertern nach vorne gezogen".

"Waffenstillstand für sechs Stunden!" brüllte der Drache und warf seinen Kopf zurück. Sein letzter Flammenstrahl schoß in den Himmel und vereinigte sich mit Donisls magischem Feuer in einem gleißenden Glutball. Die Luft knisterte und Funken fielen zur Erde. Dann war es still.

Ich hinkte nach vorne. "Die Sache beruht sicherlich auf einem Mißverständnis", sagte unser weiser geistlicher Berater. "Auf einer entschuldbaren Verletzung von fremden unbekannten Höflichkeitsformen und auf mangelnder Selbstbeherrschung." "Wie heißt Du?" fragte der Drache. "Und wie alt bis Du?" "Ich heiße Fontes von Korvien vom Grauen Orden und ich werde achtzehn Jahre alt." "Dich werde ich morgen als ersten fressen", stöhnte der Drache. Fontes wandte sich beleidigt ab, setzte sich auf einen Stein und begann, die Kugeln seiner Gebetskette durch die Finger gleiten zu lassen. Trent d'Arby zog seinen Mantel fester, lehnte sich gegen einen Felsen und schloß die Augen.

Die anderen setzten sich jeder auf den nächstbesten Stein. Martina begann gedankenverloren mit einem weißen Kiesel zu spielen und warf ihn von einer Hand in die andere. Ich erkannte den Stein wieder. Es war der Kiesel, den sie von Lezards Regal genommen hatte. Der Stein begann seine Farbe zu verändern und glühte rötlich. Er schwebte immer langsamer zwischen ihren Händen hin und her, blieb dann eine kurze Zeit in der Mitte stehen und sank dann langsam wieder in Martinas Hand. Donisl hatte wohl noch etwas von der Energie seines Feuerspruchs in den Händen behalten, denn er ließ vor sich ein kleines weißes Irrlicht entstehen, das milde leuchtete. Er holte ein flaches schwarz gebundenes Büchlein hervor und begann mit monotoner Stimme einen Zauberspruch zu memorieren. Es war irgendetwas langweiliges über höllische Flammen und schmelzende Felsen und Akid Kupferdrache sah gelangweilt drein.

Nach einiger Zeit schlug Donisl die Seite um und blickte erfreut. Er hatte offenbar einen anregenden Spruch gefunden. Er holte aus seiner Tasche eine Lupe, die ich noch nie bei ihm gesehen hatte, und begann eifrig und konzentriert, den neuen Spruch einzuüben. Er nuschelte irgendetwas von Drachenzähnen, die ausfallen, von Drachenklauen, die brechen, und von einem Drachenschwanz, der verdorrt. Akid Kupferdrache belastete mit einer Klaue seine Seite, dort wo ihn mein Hammer getroffen hat. Ich rieb mein linkes Bein.

Der Drache seufzte. "So eine kleine Kampfpause ist doch immer etwas gemütliches", sagte er. "Man hat Gelegenheit, sich etwas näher kennenzulernen und zu plaudern. Man sollte viel öfter Kampfpausen einlegen". Niemand antwortete. Trent d'Arby begann just in diesem Augenblick, sanft zu schnarchen. Sein Söldnerverstand hatte beschlossen, jetzt sei noch Gelegenheit für ein kleines Schläfchen, und sein Barbarenkörper hatte gehorcht. Das Schnarchen hatte meiner Meinung nach etwas unhöfliches an sich. Ich bemühte mich, die Verlegenheit zu überspielen: "Ein hübscher Berg ist das hier", sagte ich. "Natürlich nicht sehr hoch, aber dafür sind die Höhlen bestimmt groß und geräumig. Und es scheint auch eine hübsch ruhige Gegend zu sein." "Nun ja", sagte der Drache. "Die Gegend ist schon ganz in Ordnung. Und ruhig ist sie auch. Jedenfalls seit vorgestern." Niemand sagte etwas. "Ein niederer Dämon hat gestern hereingeschaut und mir die Geschichte erzählt", fuhr der Drache fort. "Das war ein sauberes Stück Arbeit. Der Wolf hat sowieso das ganze Tal verpestet und ich bin froh, daß Ihr ihn zerhackt habt. Sonst hätte ich ihn früher oder später selbst gestellt. Jedenfalls habt Ihr unter den Wesen im Tal jetzt einen gewissen Ruf, und wenn ich Euch morgen fresse, kann niemand sagen, ich hätte mich nur an ein paar armen hilflosen Menschen vergriffen. Das ist wichtig für mich, denn es ist eine Frage der Ehre." "Warum hast Du mich überhaupt angegriffen?" fragte ich. "Nun ja", erwiderte der Drache. "Ich hatte den Eindruck, daß ich etwas Bewegung brauche. Und dann hat der Dämon die Geschichte mit den Nixen erzählt. Ich weiß ja, daß Menschen da etwas großzügiger denken als Drachen, aber meine Frau hat sich furchtbar aufgeregt". "Du bist verheiratet?" fragte ich. "Ja", sagte der Drache. "Ich bin sehr glücklich verheiratet." "Hast Du auch Kinder?" Der Drache strahlte in väterlichem Stolz. "Meine Frau hat vor zwölf Jahren zwei Eier auf einmal gelegt. Die Kleinen fressen jetzt schon ein ganzes Schaf bei einer Mahlzeit und schlafen meistens schon die ganze Woche durch." "Wie süß", sagte Martina. Der Drache schwieg. "Wie niedlich müssen doch kleine Drachenkinder sein", versuchte es Martina noch einmal. Akid Kupferdrache seufzte. "Man hat eben Verantwortung, wenn man eine Familie gründet", sagte ich. "Es ist nicht nur immer ein Honiglecken. Ich kenne das, denn ich habe selbst zwei Söhne. Aber nach einigen Jahren ist man durch das Gröbste durch. Kinder strengen eben an, wenn sie noch klein sind. Aber bald fangen sie an, einem Freude zu machen. Stell Dir vor, bald wirst Du Deine Kleinen mit auf die Jagd nehmen können." "Bald?" brüllte der Drache und richtete sich auf. "Was verstehst Du unter bald, kleiner Mensch? Es dauert noch Jahre, bis sie zum ersten mal die Flügel ausbreiten, und dann noch Jahre, bis sie halbwegs geradeaus fliegen können. Und wenn sie zwischendurch mal auf die Nase fallen, bin bestimmt ich daran schuld. Wenn ich vor meiner eigenen Höhle lande, dann faucht meine Frau mich an, daß die Kinder schlafen. Aber wenn ich einmal schlafen will, dann hopsen die lieben Kleinen auf meinem Rücken herum und wollen spielen. Und wenn ich nur ein einziges lautes Wort zu sagen wage, dann fängt meine Frau an zu heulen und sagt, ich bin grausam zu ihr und den Kindern und meine Ausdrucksweise ist gemein. Gestern, als ich mich gemütlich mit dem Dämon unterhielt, ist eines dieser Wechselbälger gegen meine Sammlung mit den Zauberringen gestoßen und alles lag auf dem Boden. Aber es war natürlich keine Absicht. Und ich mußte freundlich bleiben, weil wir ja einen Gast hatten. Wollen wir die Kampfpause nicht um fünf Stunden verkürzen?"

Fontes stand auf und kratzte sich den kurzgeschorenen Kopf. "Ein Drache muß natürlich Herr in seiner eigenen Höhle sein. Seine Frau und seine Kinder sollten ihn lieben und ihn fürchten und ihm in allen Dingen gehorchen. Der Mann muß in der Familie den Ton angeben, denn er trägt die ganze Verantwortung. Nur so bleibt die Welt in Ordnung. Mein Vater ist manchmal auch laut geworden und hat uns grobe Sachen an den Kopf geworfen. Aber das hat uns nicht viel ausgemacht, das muß man doch vertragen können. Und wenn wir wirklich mal was ausgefressen haben, ich meine so wie die Sache mit Deinen Zauberringen, dann hat er uns der Reihe nach verdroschen. Hinterher war er immer ganz erleichtert und freundlich." "Wirklich?" fragte der Drache. "Du solltest einfach einmal ausspannen", sagte ich. "Das ist Dein gutes Recht als Familienvater. Laß Dir etwas einfallen, damit Du eine zeitlang von zu Hause wegkommst. Ich meine zum Beispiel, sag Deiner Frau, daß sie für die Kinder und die Höhle zuständig ist, und Du für die Sicherheit des ganzen Tals. Da schleichen doch gerade jetzt ein paar zweifelhafte Menschen durch die Gegend. Wer weiß, was für böse Absichten sie haben. Du sagst, daß Du sie für ein paar Wochen im Auge behalten mußt und verbietest Deiner Frau, auch nur die Nase aus der Höhle zu stecken. Dann fliegst Du los und besuchst einen alten Freund, der noch Junggeselle ist. Ich kenne das, das kann sehr lustig werden." "Meinst Du?" fragte der Drache. "Deine Überlegungen leuchten mir schon ein. Aber diese Entschuldigung zieht nur einmal. Wenn ich Euch nach ein paar Wochen gefressen habe, hänge ich wieder in der Höhle fest." "Wir wollen uns im Tal niederlassen", sagte ich. "Dann hast Du immer, wenn Du willst, irgendetwas wichtiges zu beobachten." "Bringt Ihr auch Rinder mit?" "Wir bringen auch Rinder mit", sagte ich. "Und wir werden schon zu einer Übereinkunft kommen, wenn Du dafür den Schutz des Tals übernimmst." "Darüber ließe sich reden", sagte der Drache. Trent d'Arby hatte offenbar nicht so fest geschlafen, wie ich angenommen hatte. Er hob den Kopf und sagte: "Wir bringen auch Soldaten mit. Dann können wir Drachenstechen spielen. Das hält Dich in Form. Ein Reiter mit Lanze gegen Deine linke Vorderklaue und der erste Treffer zählt. Oder fünf Reiter gegen alle Klauen und den Schwanz und es geht über zwei treffer." "Daran erkenne ich Euch Menschen", sagte der Drache. "Ihr seid immer so fair. Ein voller Kampf muß über fünf Treffer gehen. Wer vom Pferd gefallen ist, darf meinetwegen wieder aufstehen und mit dem Schwert kämpfen, aber es müssen mindestens fünf Treffer sein."

Donisl steckte seine Lupe weg und mischte sich in das Gespräch: "Ich habe den Spruch jetzt drauf. Wir können weitermachen. Ein sehr schöner Spruch. Am Ende gibt es einen furchtbaren Knall und Himmel und Erde stürzen zusammen." "Willst Du die Kinder wecken, Schwachkopf?" sagte Loger und schüttelte den Kopf. Alle sahen Donisl vorwurfsvoll an. "Verzeihung", sagte Donisl. "Er hat nicht zugehört", sagte Akid Kupferdrache. "Magier, wir haben gerade beschlossen, die Kampfpause auf ein Jahr oder so zu verlängern. Ich sehe Euch dann später wieder. Schlaft gut. Jetzt eise ich mich schnell von zu Hause los. Ich fliege, glaube ich, zuerst zu den heißen Quellen im Süden und dann zu einem alten Freund im Osten. Ich habe beschlossen, daß ich Entspannung brauche."

Er drehte sich um, winkte noch mit einer Klaue und stampfte weg.. Sein Schwanz schlug fröhlich über den Boden und fegte hier und da ein paar Felsbrocken beiseite.

Ich schlief diese Nacht unruhig und träumte von Kämpfen mit Drachen. So war ich fast erleichert, als ich das Klappern von Teeschalen hörte und Fontes' nörgelige Stimme, jeder hätte mindestens vier Stunden Schlaf gehabt.

Nach einem hastigen Frühstück verkündete Martina, sie habe jetzt das Kommando. Alle nickten und nicht einmal Trent d'Arby deutete die geringste Form von Widerspruch an.

Nachdem wir jeden Wassersack prall gefüllt hatten, ritten wir an den Rand des Tafelberges und blickten nach unten. Wieder lag in dem fahlen Licht des Morgens eine stille Wüste vor uns. Fontes suchte nach den von seinem Abt erhaltenen Anweisungen nach der nächsten Landmarke und zeigte Martina eine sanfte Hügelkette am Horizont. In weiten Schleifen ritte wir den Südhang des Tafelberges herunter. Der Weg war einfach und bequem, so als ob uns die Wüste zu sich herablocken wollte.

Nach einer halben Stunde ging die Sonne auf und beschien uns freundlich und erwärmend. Doch kurze Zeit später wurden ihre Strahlen merklich heißer. Wir ritten jetzt über einen groben gelben Sand, den Pferde und Maultiere anscheinend als ganz angenehm empfanden, denn Martinas kleiner Hengst legte ein flottes Tempo vor.

Doch dann schlief der leichte Wind, der uns bisher begleitet hatte, ein. Martina ließ anhalten und band ihren Schleier um den Kopf. Dann holte sie aus einer Satteltasche fünf lange Tuchstreifen aus blauschwarzem Stoff und wies uns an, sie nach der Art der Gnomen um den Kopf zu binden. Ich gehorchte nur ungern, bemerkte aber sofort, daß der Schleier wenigstens für die Augen eine Erleichterung war. Die gleißende Sonne hatte mich die Augen immer wieder zukneifen lassen und von den Hängen der Dünen hatte ein starkes Gegenlicht zusätzlich geblendet. Martina ließ in einem leichtem Trab weiterreiten und die Hitze nahm zu. Ich griff nach der Wasserflasche an meinem Gürtel und nahm einen Schluck. Das Wasser schmeckte warm.

Bald stand die Luft völlig still und die Dünen begannen zu flimmern. Ich trank wieder und sah, wie auch er einen Schluck nahm. Mein Kettenhemd lag schwer auf den Schultern. Es war völlig still und das Schnaufen der Pferde und mein eigener Atem klangen unnatürlich laut.

Martina ließ ihren Hengst jetzt vom Trab in den Schritt fallen. Loger hatte seine Wasserflasche ausgetrunken und griff zu dem Schlauch an seinem Sattel. Martina ließ es geschehen.

Ich fühlte mich eigenartig benommen und richtete mich in den Steigbügeln auf, um weiter nach vorne zu sehen. Ich sah ein flimmerndes verzerrtes Bild. Die Dünen schienen zu schweben und der Horizont war unnatürlich hoch. Am Rande meines Blickfeldes wurde das Blau des Himmels tiefer, so als wir auf eine dunkle Wand zuritten.

Ich drehte mich um. Der Tafelberg war verschwunden. Auch hinter uns war der Horizont von einem breiten dunklen Strich abgetrennt. Allein hätte ich mich gefürchtet. ich sah keine Landmarke mehr und wagte nicht, nach der brennenden Sonne zu schauen.

Aber Fontes und Martina unterhielten sich ruhig darüber, daß die Anweisungen des Abtes sehr nützlich seien und daß die Hügelkette eine gute Markierung sei. Ich ließ die Zügel locker und sackte im Sattel zusammen. Salziger Schweiß brannte in meinen Augen und ich zog den Schleir enger zusammen. Das Atmen war schwer. Als die Sonne sich so weit gedreht hatte, daß sie mir nicht mehr die Augen verbrannte sondern nur noch schwer auf die Schulter schlug, sah ich die Hügelkette wieder vor uns.

Martina ritt auf einen braunen Kegel zu und die Schritte ihres Pferdes beschleunigten sich. Das Gelände wellte sich und der Boden wurde felsig. Fontes trieb sein Maultier nach vorne und ritt jetzt neben Martina. Plötzlich riß Martina den Arm hoch und rief:"Halt!"

Wir waren in einer steinigen Senke zwischen einigen gleichförmigen leicht geschwungenen Hügeln. Fontes sprang vom Maultier und griff nach Jambas Spaten. Dann fing er an der tiefsten Stelle der Senke an zu graben. Er drehte sich um und blickte uns erwartungsvoll an. Ich begriff. Mit steifen Beinen stieg ich vom Pferd, nahm meinen Spaten und ging zu Fontes. Ich schaufelte die von ihm ausgehobene Erde weiter.

Martina sagte giftig zu den anderen, ob sie noch länger zusehen könnten, wie ein Knabe und ein alter Mann sich abmühten, und Trent d'Arby drängte uns beiseite. Wir gruben eine halbe Stunde, bis der Sand sich plötzlich dunkel färbte. Feuchtigkeit sammelte sich an und dann stand ein kleiner Wasserspiegel in dem Loch.

Die Pferde drängten heran und Martina hielt sie zurück. Mit einem Ledersack wurde ein Pferd nach dem anderen getränkt. Der Brunnen füllte sich immer wieder neu.

Dann sattelten wir ab und banden den Pferden den Futtersack vor das Maul. Donisl ließ sich erschöpft auf den Boden fallen, aber Martina trieb ihn wieder hoch. So ein feiner Brunnen müsse ordentlich markiert werden, sagte sie. Jetzt wo die Gegend wieder frei sei, würden bestimmt alle zwei drei Jahre oder sogar noch öfter Wanderer durch die Wüste ziehen. Für diese müßten wir ein deutliches Zeichen setzen.

Martina ging auf den nächsten Hügel und zeigte auf den Boden vor sich. Jetzt schleppten wir Steine und richteten eine kleine Pyramide auf. Vom Steinhaufen aus legten wir einen Pfeil, der genau in die Mitte der Senke zeigte. Martina war zufrieden.

Fontes stieß einen Ruf aus und zeigte in den Himmel. Hoch über uns flog ein Drache weite Kreise. Als wir winkten, stieg der Drache höher und zog genau gen Süden.

Martina weckte uns wieder nach nur wenigen Stunden Schlaf. Der Wasserspiegel des Brunnens war in der Zwischenzeit ein gutes Stück gestiegen und wir konnten, diesmal noch in völliger Dunkelheit, Pferde und Maultiere schnell und bequem tränken. Die Sterne standen noch klar am Himmel, als wir schon in den Sätteln waren. Sie verblaßten allmählich als der Tag graute. Diesmal war es kein langsamer Übergang von der Kälte der Nacht zu der Hitze des Tages. Die Sonne brannte sofort mit sengenden Strahlen. Wir ritten, den Schleier dicht vor das Gesicht gezogen, über glutheißen Sand.

(Einschub) vor Seite 206

Fontes zeigte auf eine Felswand und wir bogen ab. Im Schatten der Felsen konnten wir noch zwei Stunden weiterreiten, bis auch hier die die höher steigende Sonne den Schatten auffraß. Ich hatte meine Wasserflasche längst ausgetrunken, als Fontes auf eine Ausbuchtung der Felswand zeigte. Dort war noch Schatten. Martina ließ anhalten und erklärte uns, wir würden hier bis zum Nachmittag rasten. Selbst im Schatten war es sehr heiß. Die Pferde ließen die Köpfe hängen und, wir Menschen versuchten, den Rücken an die Wand gelehnt, zu schlafen. Mir gelang nur ein dumpfes Dösen und ein gelegentliches Einnicken. Ich wagte es nicht, über den Schleier hinweg auf den gleißenden Sand zu schauen, da die Augen bei jedem Lidschlag schmerzten.

Als die Schatten wieder länger wurden, saßen wir auf und zogen weiter. Die Pferde wirkten erschöpft, und meine alte Stute stolperte gelegentlich. Nur Fontes' Maultiere schienen beide unbeeindruckt und hielten mit stetigem Schritt die Führung. In der hereinbrechenden Dämmerung fielen wir noch in einen leichten Trab und Fontes begann, die Landmarken zu zählen. Schließlich hielt er an und sah sich suchend um.

Von einem Brunnen oder auch nur einer deutlich tieferen Stelle zwischen den leichten Bodenwellen war nichts zu sehen. Fontes bestand darauf, uns richtig geführt zu haben, saß ab und begann, in immer größeren Kreisen den Boden abzusuchen. Aber nicht einmal ein verdörrter Busch war zu sehen, der uns hätte verraten können, wodas Wasser war.

Donisl versuchte es mit magischem Gespür, aber in seinen Fingern begann es nicht zu kribbeln, als er hinter Fontes Kreise ging. Es half auch nichts, daß er seinen Spruch lauter sprach und mit einem heftigen Fluch abschloß. Martina meinte, falls wir heute kein Wasser fänden, würde die Schatzsuche morgen eine haarige Angelegenheit werden. Wir könnten uns nicht lange aufhalten und müßten unser Wasser genau einteilen und versuchen, noch in der kommenden Nacht die größte Strecke zum ersten Brunnen wieder zurückzureiten. Aber noch sei Hoffnung.

Sie stieg vom Pferd ab und gab ihrem Hengst einen Klaps auf die Hinterbacken. Das kleine Pferd schüttelte unwillig die Mähne und lief ein Stück von Martina weg. Dann begann es, ziellos auf und ab zu gehen, bis es hinter der nächsten Bodenwelle verschwand. Wir folgten. Martinas Hengst stand einige Schritte hinter dem Kamm und scharrte mit den Hufen im Boden. Donisl streckte die Hände aus und wir alle sahen, wie seine Finger sofort zu zittern begannen. Diesmal gruben wir fast eine Stunde und es war schon fast Nacht, als wir unsere Spaten in den Sand warfen. Doch das Wasser kam schnell und wieder so reichlich, daß die Pferde satt zu trinken hatten.

Das Wasser war perlend kalt und erfrischend und hatte einen säuerlichen Beigeschmack. Dieser Beigeschmack hatte bei mir eine durchschlagende Wirkung. Als Martina der müden Gesellschaft befahl, wieder Steine für eine Pyramide zu sammeln, saß ich schon hinter dem nächsten Hügel und meine Eingeweide spielten verrückt. Die Pyramide war fertig, als ich es wagte, wieder aufzustehen.

Ich ging sehr erleichtert zu der Gesellschaft zurück. Martina sprach gerade davon, daß dieser Brunnen der "kleine Pferdebrunnen" heißen würde. Noch nach vielen Jahren würde man sich daran erinnern, daß ein kleiner hübscher Hengst ihn gefunden hatte, als die Menschen schon die Suche hatten aufgeben wollen. Da sprang Trent D'Arby plötzlich auf und verschwand über den nächsten Hügel.

Loger schien nur auf dieses Zeichen gewartet zu haben, denn er lief ihm augenblicklich hinterher. Donisl sah entsetzt drein, als sein Magen plötzlich eigenartige Geräusche von sich gab. Ich war sicher, der Brunnen würde nicht "kleiner Pferdebrunnen" heißen, sondern einen ganz anderen Namen erhalten.

Wir standen vor dem Sockel des Denkmals und blickten zu Sargons Statue hinauf. Nach einem frühen Aufbruch hatten wir den sagenhaften Ort nach nur vier Stunden eines nicht zu schnellen Ritts erreicht. Zu unserer Überraschung hatten wir nicht einen Platz vorgefunden, den der Zorn der Götter dem Erdboden gleichgemacht hatte, sondern eine weitläufige Ruinenstadt.

Es war zwar sichtbar Feuer vom Himmel gefallen, denn auch jetzt sah man noch geschwärtzte Stelle, dort wo zerbrochene Mauern aus dem Sand schauten. Aber eine völlige Vernichtung hatte nicht stattgefunden. Hier und da wuchsen Gras und kleine Büsche zwischen den Ruinen und nahe der Statue fanden wir neben einer halb verschütteten Säulenreihe einen gemauerten Brunnen, in dem ein Spiegel klaren Wassers stand. Falls die Schatzsuche länger dauern sollte, würden wir keinen Durst zu leiden haben.

Sargons Statue aber hatte den Unwillen derGötter voll zu spüren bekommen. Die rechte Seite, an der einst vielleicht ein erhobener Arm zu den Sternen gewiesen hatte, war zerschmolzen und zerfressen. Das ganze Denkmal war von einer grünlich-grauen Schicht bedeckt, die die Gesichtszüge und die Falten des Gewandes verwischte. Aber auch wenn die Statue gesäubert haben sollten, würde sie keine Hilfe bei der Schatzsuche sein. Sargons Kopf war einer breiten Treppe zugewandt, hinter der ein freier sanüberwehter Platz lag.

Wir waren zuerst aufgeregt über diesen Platz gelaufen und hatten nach Grundmauern gesucht, hatten abernicht einmal die Andeutung einer Bebauung gefunden, die einst Sargons große Halle hätte sein können. Vielleicht war Sargon nur ein kleiner Stammeshäuptling gewesenm der in einem löcherigen Zelt gehaust hatte und die Stadt war viel später gebaut worden.

Doch ich habe die Erfahrung gemacht, daß man unbekannte Kochrezepte erstmal wörtlich nehmen sollte, wenn man sie zum ersten Mal ausprobiert. So stieg ich, nachdem wir unser Lager eingerichtet hatten, auf den Sockel des Denkmals und klopfte mit einem Hammer gegen den Belag, der das Metall überzog. Mein Hämmerchen kann acuh sehr sanft zuschlagen, wenn ich es so will. Der Belag bröckelte in kleinen Stücken ab und Sargons Gesichtszüge wurden klarer. Es war ein kaltes herrisches Gesicht, das Gesicht eines Großkönigs, der sich seiner Macht bewußt ist, und der sich den Göttern gleichrangig fühlt. Die Augen waren starr und rund. Sie mochten überall hin blicken, denn eine Pupille war nicht eingraviert.

Ich sprabg wieder vom Sockel herunter. Donisl kletterte nun mit Trents Hilfe hoch und bemühte sich, die Richtung des Blickes festzustellen. Doch er erfuhr nichts Neues. Die Augen waren irgendwie dem Platz über der Treppe zugewandt, sahen aber auf keinen bestimmte Punkt. Loger meinte, die Statue sei früher vielleicht einmal bemalt gewesen. Vielleicht sei noch etwas von der Farbe unter dem Belag. Der Abt habe doch davon gesprochen, Fontes solle die Statue mit seiner Kutte blankreiben. Fontes lieh sich mein Reservehemd und von Loger eine dünne Hose und zog seine Kutte aus. Er stieg auf die Schultern des Barbaren, hielt sich an Sargons verbliebenem Arm fest und begann zu reiben.

Sein Schweiß floß in Strömen und er wollte den Schleier ablegen, aber Martina verbot es. Fontes rieb so lange, bis seine Arme schmerzten. Die Reste des Belages rissen seine Kutte auf und zogen Fäden. Aber der starre Blick veränderte sich nicht. Schließlich meinte Martina, Fontes solle mit dem Unsin aufhören und herunterkommen.

Fontes warf seine arg mitgenommene Kutte in den Sand und Trent D'Arby ließ ihn herunter. Wir setzten uns in den Schatten einer Mauer und aßen etwas.

Donisl fragte Loger, ob seine Ausbildung auch einen Spruch zum Aufspüren von Gold beinhalte, aber Loger verneinte und gab die Frage zurück. Donisl grinste, er habe nur die Fähigkeit, reiche Kunden aufzuspüren, nicht aber Metall im Boden zu riechen.

Trent D'Arby schlug vor, den Oden des Platzes über der Treppe systematisch abzusuchen. Wir sollten uns in einer Rihe aufstellen, suchen, einen Schritt vorwärts gehen und wieder den Boden überprüfen. Das könnte zwar einige Tage dauern, aber die Sache sei es wert. So redeten wir hin und her, bis Martina meinte, wir sollten uns jetzt die Stadt genauer ansehen. Sie sei schließlich uralt und interessant, und vielleicht würden wir zufällig über ein Faß voll Gold stolpern.

So gingen wir zusammen los. Zuerst spazierten wir gemeinsam über kleine wellige Dünen eine frühere Straße entlang, hoben hin und wieder eine Scherbe auf und zeigte sie dem Nachbarn, bis wir uns allmählich zerstreuten. Der eine wollte hier abbiegen, der andere dort und ich wollte durch jenen Torbogen gehen und sehen was dahinter lag. Mein Fuß stieß gegen einen Sandhaufen und legte eine bronzene Pfeilspitze frei. Sie war vierkantig geschliffen und hatte einen kurzen Stiel zum Einpassen in den Schaft. Es war ein schönes Stück.

Ich suchte weiter und fand eine zweite Pfeilspitze. Als ich mich aufrichtete, waren die anderen schon fort. Ich stöberte noch ein bißchen in den alten Mauern herum und hob eine handgroße Scherbe auf, auf der in roter und schwarzer Farbe der Oberkörper eines Reiters, die Hand am Zügel und der Kopf des Pferdes zu sehen war. Dann ging ich zurück.

Nur Fontes war vor mir schon da. In meinem viel zu großen Hemd und mit Logers dünnen Hosen sah ermehr denn je wie ein halbwüchsiger Bengel aus. Fontes war anscheinend damit beschäftigt, den Rat des Barbaren in die Tat umzusetzen. Er stand auf der linken Seite der Steintreppe und starrte gebannt auf den Boden. Dann machte er mit beiden Beinen zugleich einen Satz nach oben, stand auf der nächten Stufe und starrte wieder.

Doch das war zu langweilig. Fontes hüpfte immer wieder mit zwei Beinen zugleich die Treppe hinauf. Ich duckte mich hinter einen Mauerrest. Oben drehte Fontes sich um und sah nach allen Seiten, dann hüpfte er die Treppe einbeinig wieder herunter. Jetzt kam eine neue Variante. Fontes versuchte auf dem Weg nach oben immer eine Stufe zu überspringen. Ich hörte ihn zwischen den Atemzügen kichern. Jetzt mußte er noch eins draufgeben, und ich sah, wie er oben auf der Treppe stand und die Stufen zählte. Ich trat aus meinem Versteck und wollte dem Unsinn ein Ende machen, als Fontes sprang. Er traf die sechste Stufe von oben, gab einen Schrei von sich und verschwand. Ich rief laut um Hilfe und lief auf die Stelle zu.

Die Stufe war zur Seite nach unten geklappt und darunter war ein schwarzes Loch, aus dem ein jämmerliches Stöhnen klang. "Hast du dich verletzt?" schrie ich herunter. Das Stöhnen hörte auf. "Ich habe mir den Fuß gebrochen oder verstaucht", kam es aus einer Staubwolke kläglich zurück. "Es tut verdammt weh, aber sonst bin ich in Ordnung."

Donisl war als erster heran und schob mich zur Seite. Er murmelte kurz und von seiner Hand schien ein zauberhaftes Licht in das Loch. Wir hatten den Schatz gefunden.

Ein leicht beschädigter schniefender Fontes saß zwischen zerbrochenen Brettern, einem Haufen von Gold- und Silbermünzen und glitzernden Steinen um sich verstreut.

Loger ließ sich an Trent D'Arbys Hand in das Loch herunter. Mit schöner Kameradschaftlichkeit tastete er erst Fontes Bein ab. Fontes biß die Zähne zusammen.

"Nichts gebrochen, aber schlimm verstaucht", hörte ich Logers Stimme.

"Wenn das ein Einbruch wäre und die Stadtgarde käme, würde ich sagen, wir haben noch eine gute Chance, uns davon zu machen." Trent d'Arby legte sich auf den Boden und streckte die Arme nach unten. Fontes richtete sich mit Logers Hilfe auf. Der Dieb faßte ihn um die Hüfte und hob ihn ein Stück hoch, bis er die Hände des Barbaren fassen konnte.. Loger schob und Trent d'Arby zog und Fontes war wieder oben.

Loger rief, wir sollten dei Ledersäcke und ein Seil mitbringen, und Donisl und Martina liefen los. Wir halfen Fontes, sich auf eine Stufe zu setzen und ich fragte, ob es sehr schmerze. Fontes wischte sich die Tränenspuren und den Staub vom Gesicht und meinte, dafür sei jetzt keine Zeit. Sein Knöchel schwoll schon an und verfärbte sich dunkel.

Martina und Donisl kamen zurück. Martina trug ein Seil und die Ledersäcke und Donisl seine Satteltasche und einen Wasserschlauch. Seine Augen glitzerten und seine Hände zitterten, aber er ließ sich betont gleichgültig neben Fontes nieder und holte einen Verband aus der Tasche. So viel Edelmut war kaum zu ertragen. Ich fuhr ihn an, jetzt gebe es etwas wichtigeres zu tun. Während ich Fontes Fuß wickelte und den Verband mit Wasser tränkte, suchten Donisl und Martina die Öffnung des Verstecks ab. Doch kein Giftpfeil schoß aus einer Steinritze und keine magische Falle war zu entdecken. Donisl schuf ein neues Irrlicht und schickte es in die Kammer herunter.

Loger, der noch immer auf derselben Stelle stand, begann jetzt den Boden und die Wände abzusuchen, aber auch hier war keine Falle zu finden. Trent d'Arby warf die Säcke hinunter und Loger begann einzusammeln. Wir sahen, daß Fontes auf eine Morsche Holzkiste gefallen war, die seinen Sturz gedämpft hatte. Die Kiste war zerbrochen und hatte ihren glitzernden Inhalt auf den Boden ausgestreut.

Loger füllte drei Ledersäcke, die wir hastig nach oben zogen. Dann war der Schatz geboregn. Loger sprang hoch, und bekam Trent d'Arbys Hände zu fassen. Martina lief nochmals zum Brunnen und holte eine Decke, die wir am Fuß der Treppe ausbreiteten. Donisl goß den ersten Sack aus. Gold, Silber und Juwelen ergossen sich auf das Tuch. Ein von Fontes Sturz zerdrückter dünner Stirnreif aus Gold hakte sich an der Verschnürung des Sackes fest, bis Donisl ihn losmachte und auf den Haufen warf. Fontes vergaß seinen schlimmen Fuß, rutschte auf die Decke und griff einen großen roten Stein. Er hielt ihn vor das Auge, sah in die Sonne und lachte. Wir leerten die anderen beiden Säcke.

Trent d'Arby begann mit ernsthaft gerunzelter Stirn, die Münzen nach Gold und Silber zu sortieren, und Martina hängte sich eine Kette aus hellem Gold um den Hals und suchte nach einem passenden Ring.

Ich hielt in beiden Händen einen Haufen bunter Steine.

"Gib eine Schätzung ab, Diebsgeselle!" sagte ich. Loger griff nach einer Kette mit grob geschliffenen kleinen Diamanten, ließ sie wieder fallen und nahm einige Goldmünzen hoch: "Fünfzig- bis sechzigtausend bei einem schnellen Verkauf", sagte er. Die meisten Steine sind falsch, aber das war nicht anders zu erwarten. In der alten Zeit freute man sich eben an den bunten Farben und nahm es mit der Echtheit nicht so genau. Die Münzen sind sehr alt und der Schmuck ist sehr schön. Wenn wir uns Zeit lassen und die Sachen an Kenner verkaufen, dann erzielen wir bestimmt achtzigtausend. Und wenn wir einen verschwiegenen Zwerg finden, der den Schmuck wieder aufarbeitet, dann wird es noch sehr viel mehr. Ich bin zufrieden."

"Ich weiß nicht, ich weiß nicht", sagte ich. "Was mir auffällt ist, daß die Silbermünzen zwar angelaufen, aber nicht zusammengebacken sind. Nun gut, die Gegend hier ist ziemlich trocken. Aber was mich wirklich stört ist, daß kein magischer Gegenstand bei dem Schatz liegt. Von einem so alten Schatz würde ich magische Gegenstände erwarten." "Sei nicht so gierig, Onkel Gregor", lachte Donisl. "Du hast Dein Hämmerchen und der Rest deiner Ausrüstung ist ja so unauffällig, daß man meint, du hättest sie aus dem Schrott deiner Schmiede aufgesammelt. Sei zufrieden!"

"Nein", sagte ich. "Ich bin nicht zufrieden. Laßt mich herunter und macht ein helles Licht."

Trent d'Arby und Loger hielten den Strick, an dem ich mich herunter ließ. Ich verzichtete auf Donisls Irrlicht und bat Martina, einen hellen Schein in die Kammer zu schicken. Martina gab sich Mühe, und ich konnte jede Unebenheit auf dem Boden auf den aus groben Steinquadern errichteten Mauern sehen. Ich tastete den Boden ab und dann die Wände. Nirgends war ein Spalt. Ich bat Martina, die Farbe des Lichts zu verändern, und ihr magisches Feuer wurde erst gelb, dann rot und schließlich blau.

Ich zuckte zusammen. In dem kalten Schein des Blaus hob sich eine Mauerfuge schwach von den anderen ab. Ich befühlte die Stelle wieder. Der Quader schien hier ein winziges Stück aus der Mauer hervorzuspringen. Ich rief Loger nach unten. Auch er sah den Unterschied. Er bat Martina, ihr Licht verlöschen zu lassen und in der Dunkelheit blinkten seine Elfenaugen wie kleine Punkte.

Er zog den Ärmeldolch heraus und begann an der Fuge zu kratzen. Der Mörtel bröckelte herunter. Loger tastete den Stein immer wieder ab. Dann fühlten seine Diebsfinger in den oberen Spalt. Ich hörte ein schwaches Klicken und der Stein bewegte sich. Wir zogen an dem Quader und er rutschte ein winziges Stück nach vorne. Wir brauchten jetzt die Hilfe eines wirklich starken Mannes. Trent d'Arby ließ sich in die Kammer fallen, die nun sehr eng wurde. Er faßte den Stein auf der einen Seite und wir zogen gemeinsam. Scharrend rutschte er aus der Mauer heraus und fiel mit dumpfem Klang zu Boden.

Dahinter war ein finsteres Loch. Ich schob Loger zurück. Wenn eine Falle zu erwarten war, dann hier. Ich hielt meine Nase vor das Loch. Da war nichts als ein dumpfer gesunder Modergeruch. Ich schnäuzte meine Nase und roch wieder. Auch Trent d'Arby blähte die Nüstern. Nein, eine Falle mit Giftstaub hatten wir nicht ausgelöst. Ich zog ein Paar federleichte Handschuhe aus schwarzer Seide aus meinem Gürtel und streifte sie über. Dann schloß ich die Augen und verließ mich ganz auf mein Gefühl. Ich tastete langsam die Wände des Lochs ab. Dann zog ich die Handschuhe aus und tastete wieder. Etwas dünnes bröckeliges blieb an einer Fingerkuppe haften. ich ging zu dem Tageslicht, das durch die Öffnung in der Decke in die Kammer fiel und an meinem Mittelfinger hing ein kleines Stückchen eines verrosteten dünnen Stahldrahtes. Es mußte sich um eine Messerfalle oder eine Speerfalle handeln.

Loger stimmte zu. Er nahm seinen Dolch und fuhr vorsichtig die hinteren Kanten des Loches ab. Irgendetwas knirschte und dann senkte sich eine schwarzverrostete Klinge vor die Öffnung. Sie blieb schon im oberen Drittel stecken. ich nahm meinen Hammer und stieß gegen die Klinge. Sie brach ab wie ein morsches Stück Holz und innen im Loch fiel etwas zu Boden. Der Weg war frei.

Ich griff in das Loch und fühlte ein längliches Paket. Ich zog es heraus. Da hatte ich nun meinen magischen Gegenstand und wußte es, ohne ihn auszupacken. In meinen Fingern kribbelte es wie tausend kleine Flammen. Ich reichte das Paket nach oben und einer nach dem anderen verließen wir mit Trent d'Arbys Hilfe die Kammer.

Das Paket lag auf einer Steinstufe und Donisl saß mit gesträubten Haaren davor. Er hielt die Hände mit gespreizten Fingern nach vorne gestreckt und murmelte. Die morsche Umhüllung bröckelte und fiel auseinander. Da lag es, zuckend und gleißend. Ein verzaubertes Flammenschwert, Nicht ein Monstrum, wie an der Wand meiner Schmiede, sondern nur armlang und dünn. Der Griff war aus schwarzem Stahl und er geflochtene Korb konnte die ganze Hand bedecken. Donisl wollte danach greifen, aber das Schwert zuckte zurück.

Martina streckte die Hand aus und das Schwert sprühte böse kleine Blitze. "Versuche du es, Loger!" befahl ich. Loger streckte zögernd die Hand aus und das Schwert sprang hinein. Das Glühen wurde sanfter und die schlängelnde Bewegung ging in ein sanftes Gleiten über.

"Schnell!" rief ich. "Gib ihm einen Namen!"

"Ihr Götter steht mir bei!" sagte Loger angstvoll und hielt die Klinge weit von sich gestreckt. Das Feuer erlosch und die Bewegung der Klinge erstarrte.

"Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet", sagte ich bitter. "Ein sehr feiner Name. Das ist der richteige Schlachtruf für einen Dieb vor dem Überfall. Das Schwert wird dir jetzt soviel nützen wie ein verdammter Stock." Das Schwert verwandelte sich in einen Stock.

"Ihre Schwerter sollen zu Rebstöcken werden", sagte Fontes salbungsvoll und goß sich Wasser aus dem Schlauch über seinen Verband.

"Gib her", sagte ich zu Loger. Loger warf mir den Stock zu und ich fing ihn auf. Das mächtige Zauberschwert war zu dem gedrechselten Spazierstock eines Stadtgecken geworden. Ich reichte ihn Loger zurück. Loger streckte die Hand aus und sagte verständnislos: "Ihr Götter steht mir bei." Ich warf mich gerade rechtzeitig zu Boden. Ein flammender Blitz zuckte über mich hinweg.

"Loger", sagte Donisl freundlich, "wenn du üben willst, geh bitte ein Stück weiter." "Unser Orden stellt auch Krieger an", sagte Fontes begütigend. "Wasser, Brot und Käse sind frei, und alle drei Jahre gibt es eine neue Kutte."

Trent d'Arby machte eine unanständige Geste und Martinas Schultern zuckten.

Wir hatten die Decke mit dem Schatz bis zu Sargons Statue geschleift und hatten dort aus zusammengesammeltem Reisig ein Feuer entzündet. Donisl hatte verkündet, Martina verstehe am meisten von Pferden und Maultieren und so mußte sie Fontes Fuß gerade halten, als dieser seinen eigenen Spruch zum Heilen leichter Wunden über seinen Knöchel sprach. Wir wickelten den Verband ab. Die Schwellung war fast verschwunden, aber der Bluterguß sah so schlimm aus, als trüge Fontes einen schwarzen Socken, aus dessen Löchern weiß die Zehen und die Ferse hervorstachen. Fontes fand den Vergleich mit einem Maultier nicht beleidigend sondern vernünftig und kratzte nun mit dem heilenden Dolch des Fürsten Tidgi über sein schmerzendes Fußgelenk.

Ich bat um Ruhe. "Es gibt verschiedene Arten, einen Schatz zu teilen", sagte ich. "Die gebräuchlichste Art ist, daß die Gesellschafter sich gegenseitig die Kehle durchschneiden, bis nur noch einer übrig ist und das Teilen leichtfällt. Diese Art ist abgeschmackt und langweilig. Etwas spannender ist es, wenn man gemeinsam Anteile von etwa gleichem Wert zusammenlegt, und dann die Posten auslost. Ich weiß aber eine Verteilung, die ist noch besser. Der älteste Teilnehmer der Gesellschaft verteilt, und wer widerspricht, verliert seinen Anteil."

"Das verstehe ich nicht", sagte Trent d'Arby. "Doch, doch", sagte Donisl. "Das ist ganz klar die beste Methode. Ich bin einverstanden. Sag du etwas, Fontes." "Ja", sagte Fontes und zeichnete mit dem heilenden Dolch eine weiße Linie über den Bluterguß. "Das klappt gut. Wovon habt ihr gesprochen?"

"Also sind wir uns einig", stellte ich fest. "Trent, du nimmst alles Gold und Silber. Such für jeden drei der schönsten Goldstücke aus, die behalten wir als Andenken. Verkauf den Rest klug. Zweitausend Kronen bekommt Logers Gilde vorab." "Halt!" protestierte Loger. "Der Anteil der Gilde kann nach unserer Schätzung höchstens eintausend Kronen betragen."

"Loger", sagte Donisl. "Widersprich nicht, sonst verlierst du deinen Anteil. Ich glaube du hast dich gerade zur Meisterprüfung angemeldet und deine Gebühr bezahlt." Loger klappte den Mund zu.

"Von dem Rest", fuhr ich fort, "heuerst du ganz nach deinem Gutdünken Gefolgsleute an und kaufst Vieh und Geräte." "Ich muß mir ein Buch anlegen", seufzte Trent d'Arby. "Das ist selbstverständlich", erwiderte ich. "Fontes, hör doch mal auf zu spielen. Sammel die größten und buntesten Steine auf und tu sie in einen Sack. Die gibst du mir zur besonderen Verwendung." Ich griff das Halsband mit den kleinen grob geschliffenen Diamanten und ein passendes Ohrgehänge und steckte die Sachen in meinen Beutel. Donisl grinste boshaft. Dann suchte ich einen breiten goldenen Ring mit einem dicken Diamanten und ein schweres goldenes Halsband aus und warf es Trent d'Arby zu. "Das bekommt Jamba. Er wird der Botschafter deines Tals in der Hauptstadt. Das Geschenk wird ihn ehren und verpflichten, und seine Preise werden sinken. Und dies hier ist für Raffaela." Ich suchte eine Garnitur aus dunklem Gold mit roten Rubinen zusammen, klein, aber recht fein.

"Das wird Raffaela freuen und sie kann es in der Öffentlichkeit tragen, ohne daß der Kanzler gleich meint, der Schmuck sei der Lohn für einen Hochverrat. Aber einen Fürsten müssen wir mit dem Schmuck bestechen. Übernimm du das Donisl, du weißt, was ich meine und hast in diesen Dingen einen sicheren Geschmack." Donisl suchte und hob eine schwere Kette aus weißer Jade hoch, an deren Ende ein kunstvoll geschnitzter Drache hing. Das Stück war mir von Anfang an aufgefallen, doch in Lahee konnte es nicht getragen werden, denn es war zu kostbar. Donisl hängte Martina die Jadekette über das weißgoldene Halsband, das sie zuerst gegriffen hatte.

"Die Truppen des Fürsten Tidgi sind uns am nächsten, im Guten oder im Bösen. Sein Land liegt zwischen uns und dem Gebiet des Herzogs. Das sollten wir wohl bedenken." Er fuhr mit der Hand erneut durch den glitzernden Haufen und zog einen dreifachen Strang von rosa Perlen heraus.

"Wenn der alte Shandri die Truppen führt, könnten sie in fünf Tagen im Tal sein." "Jetzt begreife ich", rief der Barbar. "Onkel Gregor hat recht. Donisl, denk daran, wenn dieser Pferdenarr Shomen den Einsatz reitet, hätten wir schon in drei Tagen Hilfe."

Donsil ließ zwei Armbänder mit blauen Saphiren um Martinas Handgelenke schnappen und Martina schnappte zurück. "Wer widerspricht, verliert seinen Anteil", rief Trent d'Arby.

"Schluß jetzt", sagte ich. "Den Rest verwaltet Loger. Zieh zweitausend Kronen von deinem Anteil ab und weitere zweitausend für den Spazierstock. Dann hast du ihn spottbillig bekommen. Mir ziehst du fünfhundert ab und Fontes kriegt erstmal nichts. Wir werden seinem Abt aber sagen, daß wir dem Grauen Orden im Tal ein Kloster zugestehen und die Baukosten tragen, wenn er mit jedem Mönch einen Ordenskrieger mitschickt, der einen zweiten Eid auf Trent d'Arbys Schwert leistet. Und jetzt geht schlafen. Ich übernehme die erste Wache."

"Ihr behandelt mich nicht fair", sagte Martina. "Wir sind als Kameraden losgeritten und als Teilhaber zu gleichen Teilen. Jetzt soll ich für eine Jadekette und ein paar Perlen bei meinem Großvater gutes Wetter für euch machen. So einfach läßt sich der Fürst nicht einwickeln. Um ihn wirklich zu bestechen, braucht man größere Reichtümer, als ihr jemals zusammenkratzen könnt."

"Martina", sagte ich. "So wie ich die Welt kenne, hast du deinem Großvater erzählt, daß du mit Svenrho auf sicheren Wegen zur Hauptstadt reitest. Und dann bist du einfach ausgerissen. Wenn du nach Hause kommst, und von der Schatzsuche berichtest, wird dein Großvater versucht sein, dir den Kopf abzureissen. Und wenn du dann noch erzählst, daß du deinen ganzen Anteil einem Barbaren und einem Dieb gelassen hast, um in einem verhexten Tal Land zu nehmen, wird er uns den Kopf abreissen. Also zeigst du ihm sofort den Schmuck als deinen Anteil und er wird gerührt sein, daß du dich so darüber freust, und er wird an seine eigene Jugend denken und sagen, für zwei oder drei Wochen Mühe hat sich das Abenteuer gerade so gelohnt. Und nur ganz nebenher erwähnstdu, daß du im Tal einen Anteil an einer kleinen Herde hast. Er wird gar nicht mehr hinhören und sagen, die Perlen sollst du bei deiner Hochzeit tragen."

"Da kannst du lange warten", sagte Martina. "Ich heirate nicht!" "Ha!" rief Donisl. "Das kenne ich. Das ist der Hochmut der gelehrten Frauen. Die Universität hat einen großen Fehler gemacht, als sie Frauen zuließ. Bei deinem Aussehen und deiner Figur ist das gegen den Willen der Götter. Wärst du nur eine Handbreit größer, ich würde die sofort einen Antrag machen. Martina, deine Augen haben mich verzaubert!" Martina wurde rot. "Du kannst mir den Buckel runterrutschen! Ich möchte nicht darüber reden."

"Dein Großvater wird dir doch nach deiner Rückkehr einige prächtige junge Männer vorgestellt haben?" fragte ich. "Er kennt seine Pflichten und wird dir einen guten Ehemann beschaffen." "Er hat mir einen steinreichen Grafen aus uralter Familie vorgestellt war, der selbst so alt war, daß seine Haut Falten warf", sagte Martina giftig. "Steinreich ist doch sehr schön", meinte Trent d'Arby. "Was willst du eigentlich mehr?" "Willst du das wirklich wissen?" fauchte Martina. "Ich will einen Märchenprinzen. Schön soll sein und stark und sanftmütig. Und er soll in einer goldenen Rüstung auf einem weißen Pferd kommen und mich mitnehmen."

"Ruhe Leute, Ruhe!" sagte Donisl und richtete sich auf. "Ich hatte Liebeskunst drei Semester als Nebenfach und ich glaube, ich bin auf der richtigen Spur. Du meinst doch diesen Schönling aus dem Weidelager, der nur an Pferde und Wettrennen denkt?" "Er denkt nicht nur an Pferde", empörte sich Martina. "Er hat drei Jahre vor mir in Kriegsgeschichte und Ballistik sein Examen gemacht." "Das hätte ich nicht vermutet", sagte Donisl. "Er sah so einfältig aus. Aber an der Geschichte ist bestimmt was dran. Er hat dich jedenfalls während des ganzen Festes so blöde angeglotzt, wie ein krankes Kalb." "Er hat außer höflichen Redewendungen kein Wort zu mir gesagt." "Was erwartest du denn? Daß er dich bei der Hand nimmt und mit dir über das Feuer springt, wie bei einem Dorftanz? Du bist doch die Enkelin seines Lehnherren. Da muß er die Form wahren." "Aber er hätte doch wenigstens etwas nettes sagen können, wir kennen uns doch von früher."

"Weibliche Einfalt!" Donisl sprang auf. "Du hattest dieses charmante Kettenhemd an, saßt auf einem Sattel, das Schwert zwischen den Knien und hast ins Feuer gespuckt. Und fünfzig bärtige Teufel hockten als Anstandsdamen um dich herum, wo dieser schwachsinnige Mönch schon allein ausreicht, um jeden jungen Mann zu verschrecken."

"Wovon sprecht ihr?" fragte Fontes und zeichnete mit dem heilenden Dolch ein Gittermuster über seinen Bluterguß. "Halt du den Mund!" sagte Donisl. "Ich merke schon, ohne mich sind alle hilflos. Ich werde die Sache in die Hand nehmen. Wenn die anderen im Tal die Gräben für die ersten Burgmauern schaufeln, werden wir beide eine Erholungsreise durch das Land des Fürsten machen. Du wirst nicht reiten, sondern in einer Sänfte reisen. Und wenn du schwerere Kleidung mitnimmst als Batisthemden, werde ich böse. Du nimmst ein eigenes Zelt mit und eine verschwiegene Zofe. Du kannst die rosa Perlen tragen. Wir werden darauf achten müssen, daß die Kette genau die richtige Länge hat, um den Geist deines Helden anzuregen.Du malst dir die Lippen rot an und die Fingernägel und die Fußnägel auch. Ich habe da ein Parfum, schwach magisch, das schon schöne Erfolge hatte. Ich werde es so einrichten, daß ihr beide alleine seid. Halt, Tollkirsche für die Augen nicht vergessen! Du mußt bei eurer Unterhaltun öfter seufzen. Wenn das nicht hilft, läßt du einen Träger deines Kleides über die Schulter rutschen. Notfalls fällst du in Ohnmacht, weil es so heiß ist. Wir schaffen das schon. Graf Shomen ist rettungslos verloren!"

Männer sind manchmal schwer von Begriff", sagte Trent d'Arby. "Ich kenne das von mir selbst. Da war bei meinem zweiten Feldzug eine Marketenderin hinter mir her, ein wirklich süßes kleines Ding. Ich habe nichts gemerkt, bis sie zufällig ein Strumpfband verlor und mich bat, es wieder anzulegen. Da habe ich schließlich verstanden. Es war eine tolle Sache!"

"Du bist ein Wüstling, Barbar!" sagte Martina zornrot. "Zu so etwas gebe ich mich nicht her. Ihr widert mich alle an." Fontes schreckte auf. "Was habe ich dir getan, daß du so etwas zu mir sagst?" beschwerte er sich.

"Halt den Mund, Einfaltspinsel!" schrie Martina.

Fontes stand auf und humpelte zu seinen Decken. "Alle Frauen sind blöde", schimpfte er vor sich hin.


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(c) 1993 Holger Provos