ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Die Schläfer waren unruhig, kein Wunder, nach diesem Tag. Martina hatte ihre Decken beleidigt in die Nähe der Pferde getragen und wälzte sich jedesmal, wenn ein Pferd mit den Huffen stampfte, auf die andere Seite. Fontes stöhnte im Schlaf. Sein Knöchel mußte noch stark schmerzen. Trent d'Arby und Loger hatten die Säcke mit dem Schatz zwischen sich liegen und Loger hatte den zauberhaften Stock mit unter seine Decke genommen. Ich hoffte nur, daß er nicht in einem Alptraum nach dem Beistand der Götter rief. Das könnte schlimme Folgen haben. Nur Donisl lächelte im Traum. Er schleckte wohl noch immer seine Liebesfalle aus. Ich ging mit leisen Schritten um das Lager und legte gelegentlich einige Äste in das Feuer nach. Es war ein erfolgreicher Tag gewesen. Ich hatte mir nach dem Pergamentfetzen, den Fontes uns in Samdavjun vorgelesen hatte, eine bestimmte Vorstellung von dem Schatz gemacht. Ich hatte eine brennende Stadt vor mir gesehen, aus der die Bevölkerung floh. Ein treuer Freund hatte für einen anderen, der noch bleiben mußte, Fluchtgeld bereitgelegt. Vielleicht zwei oder drei Beutel mit Gold und eine Handvoll kleiner Diamanten. Ein verzaubertes Schwert wäre das nächste gewesen und dann noch ein Ring der Unsichtbarkeit. Aber meine Vorstellungen waren bei weitem übertroffen worden. Da lag kein Fluchtgeld, auch nicht, was die nächste Möglichkeit gewesen wäre, die wahllos zusammengeraffte Beute eines Räuberhauptmanns. Es war vielmehr der Schatz eines reichen Mannes, der Freude an schönen Dingen gehabt hatte. Diese Freude hatte er nun nicht mit seinen Kindern oder seinen Freunden teilen können, sondern wir hatten heute nach Hunderten von Jahren das Gefühl genossen, den Schatz zu bergen und zu sichten. Der Schatz war sehr alt, aber nicht uralt. Nach der Inschrift einer Goldmünze, die ich mir näher angesehen hatte, mußte er aus der Blütezeit des alten Reichs stammen, aus einer Zeit, in der Sargon schon seit tausend Jahren der Legende angehörte. Auch die Stadt mußte jünger sein und Sargons Denkmal entsprach dem Stil, in dem die Alten ihre Helden und Götter in Stein gehauen oder in Bronze gegossen hatten. Ich war jetzt bei meinem Rundgang an der Treppe angekommen und setzte mich auf eine Stufe. Das Feuer vor Sargons Denkmal flackerte auf und die Statue schien sich zu bewegen. Eine einzelne helle Flamme leckte hoch und erhellte kurz Sargons Gesicht. Die blankgeriebenen Augen blitzten auf und der Wiederschein des Feuers gab den kalten Zügen Leben. Sargon sah mich verächtlich an. Höhnisch blickte der einstige Großkönig von seinem Sockel auf den einfachen Mann. Er war seit Ewigkeiten tot, aber er lebte in der Legende weiter. Ich wurde allenfalls in der Erinnerung meiner Kinder und Enkel eine kleine Weile fortdauern, aber dann wäre ich endgültig vergessen. Sargon, der sagenhaft Reiche, der den Göttern gleichkam, würde in den Köpfen der Menschen noch für Ewigkeiten seinen Platz behalten. Was hatte er denn getan, um diese Ehre zu verdienen? War er ein großer Gesetzgeber gewesen, der der Welt Ordnung gebracht hatte, oder ein großer Friedensstifter, der die Völker versöhnte? Nein, letzten Endes hatte er nur fabelhafte Reichtümer besessen und der Reichtum war dazu noch am Ende sein Untergang geworden. Aber Reichtum bewundert diese Welt am meisten, nicht Schönheit oder Güte oder Gerechtigkeit. Sargon hatte recht, verächtlich auf mich herunterzublicken. Wegen des Goldes waren wir aufgebrochen und unter Lebensgefahr durch die heiße Wüste gezogen, und als wir es gefunden hatten, machten wir uns nur noch Gedanken darum, es zu vermehren. Vielleicht würde uns das Gold am Ende Verderben bringen, so wie es Sargon schließlich vernichtet hatte. Doch nein, genug der traurigen Gedanken. Keiner von uns würde dem Wahn des Reichtums verfallen. Wir würden den Schatz vernünftig und zu friedlichen Zwecken nutzen. Wir wurden das Tal besiedeln und vielen Leuten aus allen Völkern eine neue Heimat geben. Ich stand auf und ging auf das Denkmal zu. Erneut züngelten die Flammen nach oben und Sargons Gesicht zuckte boshaft. Nein Sargon, du bis tot, und ich, Gregor aus Lahee, lebe. Und weil ich lebe, bin ich stärker als das kalte Stück Metall, das von dir übrig geblieben ist. Ich habe meinen Hammer noch nie mit aller Kraft geworfen, ich würde das gegen ein denkendes Wesen auch niemals tun, wahrscheinlich nicht einmal gegen einen schwarzen Drachen. Aber wenn ich jetzt den Hammer hebe, bleibt von deinem Abbild nur Staub übrig, der sich mit dem Sand der Wüste vermischt. Mit einem leichten Druck meiner Hand könnte ich dich vom Sockel stoßen, damit du während der nächsten tausend Jahre auf dem Rücken liegst und in den Himmel schaust, der dich verstoßen hat. Denn die Götter haben dich auf ewig verstoßen, Sargon. Deine Buße war nicht vollständig. Du hast in dem schäbigen Rest deines Lebens nicht genug zusammengebettelt, um die Götter zu versöhnen. Vielleicht hat dir, als du über deiner Bettelschale zusammengebrochen bist, nur noch ein einziges Kupferstück gefehlt. Hier mächtiger Großkönig, nimm es von mir, von Gregor, dem Mann aus dem Volk, der Dieb und Oberst zugleich gewesen ist. Ich griff in meinen Beutel, fühlte ein Kupferstück und warf es über das Feuer vor den Sockel des Denkmals. Welch eine großartige Geste! Der tapfere Oberst Gregor mit dem silbernen Kommandostab hatte einem einarmigen Krüppel seine Verachtung gezeigt. Nein, der Oberst und der Dieb sind Vergangenheit, aber der Bettler war immer der Kamerad des Diebes gewesen. Die Bettler warnten uns vor den Runden der Stadtgarde und für jedes Geldstück gaben sie einen nützlichen Hinweis, na ja, für fast jedes Geldstück. Ich ging um das Feuer herum, hob das Kupferstück auf und legte es auf den Sockel des Denkmals. Wenn Sargon wirklich Bettler gewesen war, dann hatte er wahrhaftig genug gebüßt und seine Schuld war seit langem vergeben. Das Feuer flackerte wieder auf und Sargons leere Augen schienen diesmal besänftigt. Meine Wache ging dem Ende zu. Ich schlenderte zu Trent d'Arby und rüttelte ihn wach. Der Barbar belastete zunächst zufrieden die Ledersäcke neben sich und wickelte sich dann aus den Decken. Wir gingen zusammen zu dem Feuer. Ich nahm einen Wassersack, um noch einen Schluck zu trinken, und Trent d'Arby legte zwei dicke Äste in das Feuer. "Sieht ganz friedlich aus in dieser Beleuchtung, der Großkönig", sagte er. "Eigentlich mehr wie ein alter blinder Bettler." Ihr Götter, da hatte ich den Hinweis, der mir für mein Kupferstück an den Bettler zustand. Sargons Augen blickten auf keinen bestimmten Punkt, weil sie eben blind waren. Die Augen eines Blinden sehen allenfalls nach innen.

Ich faßte Trent d'Arby am Arm. "Trent, bitte tu mir einen Gefallen. Ich möchte versuchen, ob die Statue sich bewegen läßt. Bitte hilf mir."

Ich legte beide Hände auf die rechte Seite des Sockels und drückte mit aller Kraft. Trent d'Arby ging wortlos um den Sockel herum, legte seine Hände neben die meinen und zog. Er sah mir dabei stumm und ausdruckslos ins Gesicht. Ich begann zu ächzen und die Muskeln des Barbaren schwollen an. Plötzlich gab es einen knirschenden Ruck. Der Sockel machte eine viertel Drehung und Sargons blinde Augen sahen nun nach Westen. Ich hockte mich auf den Boden und begann, den Sand vor dem Sockel wegzuwischen. Der Sockel stand auf glattgeschliffenen Steinquadern, die beinahe fugenlos glatt nebeneinander lagen.

"Onkel Gregor", sagte Trent d'Arby plötzlich, "ich glaube, Fontes hatte recht. Das, was Franksi auf den Zettel geschrieben hat, hört sich an wie eine richtige Beschreibung. Und Martina hatte auch recht. Sie sagte, daß Franksi Scherz- und Rätsellieder gemacht hat. Ich will etwas versuchen. Einen Schritt nach Westen sind wir schon gegangen. Jetzt wollen wir noch elf Schritte gehen."

Er stemmte sich gegen den Sockel und druckte. Das Denkmal drehte sich wieder. Nun ging es leichter. Trent d'Arby schob und ich half ihm. Und wieder drehte sich der Sockel und noch einmal, bis Sargon in die alte Richtung sah.

"Sofort nach dem zwölften Schritt springen wir weg", sagte Trent d'Arby. "Mindestens sechs Schritte geradeaus, wie wenn man beim Schwertkampf durch zwei Gegner durchläuft." Wir schoben weiter und die Statue drehte sich in Viertelkreisen. Am Schluß der dritten Drehung sprangen wir los und liefen mit großen Sprüngen weg. Es gab ein dumpfes Geräusch und dort, wo unser Feuer gebrannt hatte, senkte sich der Boden. Das Feuer verschwand und wir sahen im Wiederschein der restlichen Glut eine rechteckige Öffnung.

Fontes humpelte, in eine Decke gewickelt, heran. "Schon wieder ein Schatz?" fragte er freudig und sah nach unten. "Diesmal will ich aber auch etwas haben. Wenn etwas nicht aus Gold oder Silber ist, darf ich es behalten." Der herunterfallende Sand hatte unser Feuer erstickt, aber unten brannte noch ein einzelner Ast und beschien eine steile Treppe. Dahinter war noch ein anderer Schein. Ein mildes freundliches Licht leuchtete durch eine Türöffnung.

"Magie!" flüsterte Donisl, "sehr starke und mächtige Magie. Ich spüre die Kraft der Götter".

Donisl richtete sich auf und hielt seine Hände mit aufeinandergelegten Daumen- und Fingerspitzen vor die Brust. Dann schritt er mit ernstem Gesicht auf dem rutschenden Sand die Treppenstufen herunter. Wir anderen folgten dichtauf. Wir traten in eine große Halle, deren Wände sanft gelblich leuchteten. Wir waren in Sargons sagenhaftem Haus, denn der Boden war dicht, vielleicht wirklich kniehoch, mit Münzen bedeckt.

Doch es waren keine Goldmünzen sondern lauter kleine vor Alter dunkelbraun gewordene Kupfermünzen und dazwischen die eine oder andere schwarzverrottete Silbermünze. Es war der Schatz eines Bettlers, der in eintausend Jahren der Buße zusammengetragen worden war. Auf einem Münzhaufen in der Mitte der Halle war etwas aufgebaut. Auf einer grauen Bettlerkutte lag eine hölzerne Schale. Ich nahm sie hoch. In der Schale lagen zwei kleine Kupfermünzen, die ich in die Hand nahm. Soweit ich mich erinnern konnte, war es der kleinste Münzwert, der in der Frühzeit des alten Reichs geprägt wurde. Vielleicht konnte man sich damals beim Wasserverkäufer einen halben Becher Wasser dafür kaufen.

Die Schale war aus einem hellen harten Holz und zeigte trotz ihres sagenhaften Alters keinen einzigen Riß. "Hier Fontes", sagte ich und gab ihm die Schale. "Da hast Du etwas, was nicht aus Gold oder Silber ist und Du kannst es behalten."

Fontes hielt die Schale andächtig in der Hand. "Es ist eine Bettlerschale und sicherlich uralt. Vielleicht hat sie einst Sargon selbst gehört, was meint Ihr?" Er hielt Donisl und Loger die Schale hin. Beide begannen sofort in ihren Gürteln zu kramen. Loger warf eine Kupfermünze ind die Schale. "Mit dem Segen der Götter", sagte er. Donisl hielt eine Silbermünze über der Schale und bemühte sich verzweifelt, die Hand nicht zu öffnen. Doch dann grinste er und ließ die Münze fallen. "Mit dem Segen der Götter, Bruder Fontes. Es ist sicher Sargons Bettelschale, und wer wäre würdiger als Du, sie eine Weile bei sich zu tragen. Aber hier, zieh Dich wenigstens anständig an. In die Decke gewickelt siehst Du aus wie meine Lieblingstante." Er hob die Bettlerkutte auf, die auf vier rohen Feldsteinen gelegen hatte und warf sie Fontes über den Arm. Fontes zuckte zurück.

"Die Schale will ich nehmen, für einen Mönch des Grauen Ordens ist das schon richtig, und vielleicht ist es der Wille der Götter, daß ich damit Geld für das neue Kloster sammle. Aber die Kutte nehme ich nicht." Er nahm die Kutte von seinem Arm und hielt sie mit der linken Hand von sich.

"Die Kutte ist so gut wie neu", sagte Loger, "und der Abt wird sagen, daß Du allmählich die richtige Demut lernst, wenn er Dich in einer Bettlerkluft sieht". "Ich kann nicht die Kleider eines Toten tragen", jammerte Fontes. "Es ist bestimmt sehr demütig, aber es ekelt mich." "Wenn weiter nichts ist", sagte Loger und Donisl schrie: "Halt!"

Aber Loger hatte schon das Wort gesagt und die Handbewegung gemacht. Der Reinigungsspruch prallte von der Kutte ab und fuhr in einen Haufen von Kupfermünzen in den Boden, die jetzt wie rotes Gold glänzten. Fontes ließ die Kutte fallen und setzte sich erschüttert auf die Felssteine.

"Wir werden die Kutte nachher für eine Stunde in das Feuer legen", sagte Donisl, "und dann kannst Du sie beruhigt anziehen. Man lehnt kein Geschenk ab das von einem kommt, der den Göttern einst nahestand und der jetzt wahrscheinlich ihnen wieder nahesteht. Aber Deine Respektlosigkeit vor Magie ist unglaublich, Bruder Fontes. Heb Deinen dummen Hintern hoch, denn Du sitzt auf dem mächtigsten Zauber, den ich je gespürt habe."

Fontes sprang entsetzt auf die Füße und sah unter sich. Die vier Felssteine sahen rund und unschuldig aus, wie es eben Steine tun. Aber jetzt, wo Donisl es gesagt hatte, spürte es jeder im Raum. Von den Steinen ging eine unerklärliche Macht aus, so deutlich wie die wärmenden Strahlen der Sonne. Aber anders und sehr sehr geheimnisvoll. "Ich weiß nicht, was es ist", sagte Donisl, "aber es ist nicht böse, sonst hätte Fontes sich den Hintern verbrannt. Ich fühle eine freundliche Ausstrahlung. Aber ein weiserer, als ich es bin, wird uns genau erklären müssen, was es mit dieser Magie auf sich hat. Ich kann es nichtl"

"Ich habe gerne auf den Steinen gesessen", verteidigte sich Fontes. "Das mag ein Hinweis sein, höhnte Donisl, "und ich werde ihn mir merken. Aber als Erklärung der Magie reicht er nicht aus."

Er schubste Fontes freundschaftlich zur Seite und setzte sich selbst auf die Steine. Er rutschte hin und her und räkelte sich. "Fontes", sagte er. "Du hast einen Körperteil, der empfindlicher auf Magie reagiert, als mancher ausgebildete Verstand. Auch ich fühle mich jetzt wohl. Ich würde gerne länger hier ausruhen. Ich gönne Dir die magische Schale und die magische Kutte. Man hätte beides für sehr viel Geld verkaufen können, aber Du sollst sie behalten, denn Du bist mein Freund. Ich renne mein halbes Leben hinter Ansehen und Reichtum her, wo doch Frieden und Erkenntnis die höheren Güter sind. Wenn wir uns im Tal eingerichtet haben, werde ich Svenrho den gewerblichen Teil der Magie überlassen und nur noch zwei Zehntel Anteil nehmen. Ich suche mir für ein paar Jahre einen weisen Lehrer, der mich weiterbringt. Martina, ich glaube, bei unserer kleinen Vergnügungsreise durch die Wüste, lassen wir das magische Parfum weg und machen dafür den Ausschnitt tiefer. Das andere wäre doch zu unfair".

Wir starrten Donisl sprachlos an. Ein Zehntel Nachlaß für Svenrho war schon unglaublich, aber der Verzicht auf das magische Parfum warf mich um. Ich zog Donisl hoch und schubste den Barbaren auf die Steine. Trent d'Arby setzte sich zurecht. "Man sitzt ganz bequem, das gebe ich zu. Daß Donisl aber gleich ins Spinnen kommt, verstehe ich nicht. Macht und Reichtum sind doch ganz schön. Nun gut, Frieden ist natürlich am besten. Wenn ich so darüber nachdenke. Ich werde in Zukunft nicht immer gleich scharf zuschlagen. Ich schlage öfter mal flach. Das ist nicht so schädlich, tut aber dreimal so weh." Trent d'Arby stand auf.

Loger und Martina sagten wie aus einem Mund: "Ich setze mich nicht dahin." Dann fingen beide gleichzeitig an, verlegen zu lachen. Fontes hielt Martina die Schale vor die Nase und sie suchte sofort nach Geld. Ich stemmte einen der Steine hoch. Er war etwa so groß wie ein Drachenei und fühlte sich völlig normal an. Die Oberfläche war rauh und enthielt kleine Einschlüsse von Glimmer.

Auch Donisl sah die Steine jetzt genauer an und befühlte sie. "Wir haben schon zwei Dinge erfahren", sagte er. "Fontes sitzt gerne auf den Steinen und wenn andere darauf sitzen, geraten sie unter einen eigenartigen Einfluß. Ich war einen Augenblick etwas weniger geldgierig und Trent war etwas weniger barbarisch. Wenn ich jetzt die Steine befühle, meine ich, auch etwas klüger zu werden. Das, was wir heute nachmittag gefunden haben, war nur die Ablenkung für weniger hartnäckige Leute. Das hier ist der wahre Schatz und er war, wie ich vermute, sehr gut verborgen. Wie habt Ihr ihn gefunden?"

Ich erzählte die Geschichte in Kurzfassung und Trent d'Arby wurde wegen seines Einfalls mit den blinden Augen sehr gelobt. Auch mich hatte das Befühlen der Steine klüger gemacht. Ich erklärte der Gesellschaft, daß es Monate dauern würde, bis wir die Halle genau durchsucht hätten. Wir sollten die Steine mitnehmen, die Öffnung wieder verschließen und die Stelle erneut mit Sand bedecken. Später, wenn wir uns im Tal eingerichtet hätten, könnten wir wiederkommen und eine Nachschau halten.

Wir trugen die Steine nach oben. Dort erwartete uns eine Überraschung. Der Rest des grauen Belags war von der Statue abgefallen und das Denkmal glänzte im Schein des Mondes in einem dunklen reinen Bronzeton. Wir drehten die Statue dreimal in die Gegenrichtung und mit jeder Vierteldrehung hob sich die Treppe, bis sie sich bei der letzten Vierteldrehung in eine Reihe mit den Steinplatten streckte. Wir schaufelten Sand auf die Stelle und Fontes entzündete genau auf dem Versteck ein neues Feuer. Ich holte meine Decke, wickelte mich hinein, und sah schläfrig zu, wie Fontes einen Ärmel der Bettlerkutte in die Flammen hielt. Sie brannte natürlich nicht. In den Traum hinüber nahm ich das Bild eines jungen Mönchs, der mit einer grauen Bettlerkutte angetan mitten im Feuer saß und grinste wie ein höllischer Kobold.

Wir waren sicher wieder in unserem Tal angelangt und hatten eine Tagesreise stromabwärts von dem Ort unserer ersten Flußüberquerung eine ideale Stelle für die Ansiedlung gefunden. Hier teilte sich der Fluß und ich sah vor meinem geistigen Auge auf der Flußinsel schon eine Reihe von Kontoren und Lagerhäusern und lange Kaimauern an jeder Uferseite. Wo wir unser erstes Blockhaus bauen sollten und wo sich der erste Burgturm erheben würde, darüber gab es allerdings Streit.

Martina wollte mitten auf der Flußinsel bauen. Aber nur ein Wüstenkind kann es romantisch finden, zwischen den Wassern zu wohnen. Als ich Martina schilderte, wie im Winter der kalte Nebel durch die Mauerritzen kriecht, zeigte sie Einsicht. Donisl und Loger hatten sich in das diesseitige Ufer verliebt und meinten, wir sollten die Burg erst einmal vergessen und gleich eine Lagerhalle bauen.

Trent d'Arby schnaubte verächtlich. Von der Klippe aus könnte er jedem, der am Flußufer wohne, auf den Kopf spucken. Ich pflichtete ihm bei. In diesen unruhigen Zeiten war eine starke Ausgangsposition wichtig. Wir würden auf der Klippe ein festes Blockhaus errichten mit einer Aussichtsplattform darüber. Das Blockhaus könnte uns dann als Bauhütte dienen und gleich daneben sollte der erste Turm unserer Burg entstehen. Trent d'Arby versicherte uns feierlich, er könne binnen drei oder vier Wochen einige zuverlässige Freunde benachrichtigt haben, die ohne zu zögern kommen würden. Im Herbst würde das Blockhaus fertig sein, oder noch ein zweites oder ein drittes, und die Ställe dazu, und im nächsten Frühjahr würde die erste Herde über die Berge getrieben werden.

Ich dachte an den unglückseligen Vetter meiner lieben Frau. Wenn er mich im Gasthaus ordentlich vertreten hatte, würde ich ihn, seine rundliche Frau und seine zahlreichen Kinder mit guten Worten oder mit Fußtritten über den Paß treiben, damit er hier ein Gasthaus eröffnete. Ich würde seiner Frau vielleicht sogar die Mischung verraten, mit der ich meine Fischsuppe würzte. Sie hatte jedenfalls einen schnellen Verstand und wußte einen Vorteil entschlossen zu nutzen. Und Alexander könnte mir auch behilflich sein. Ich könnte ihm zehn Kronen für jeden Veteranen versprechen, der ins Tal zog und auf Trent d'Arbys Schwert schwor. Zehn Kronen Kopfgeld sollten ihn schon auf Trab bringen.

Ich zeichnete gerade einen Plan der ersten Anlage in den Flußsand, als ein mächtiges Rauschen die Luft erfüllte. Wir sahen aufgeschreckt nach oben. Etwas großes dickes kam in einem eigenartigen Zickzackflug auf uns zu. Donisl und Martina waren klug genug, sofort wegzulaufen, aber wir anderen wurden von der Schlammwoge getroffen, als Akid Kupferdrache eine eindrucksvolle Landung am Flußufer machte.

Ich wischte mir den Schlamm aus den Augen. "Entschuldigung", krächzte der Drache. "Ich habe mich etwas verschätzt. Aber es ist ja nichts passiert." Er sah dabei mit blutunterlaufenen Augen auf Fontes, dessen magische Robe so makellos sauber war wie zuvor.

"Was habt Ihr in der Zwischenzeit gemacht?" "Wir haben einen Schatz gefunden", sagte Fontes einfältig. "Holla", schrie der Drache, "waren Zauberringe dabei?" "Nein." Fontes hielt ihm die Bettelschale hin. "Dies hier war das Wertvollste." "Kinderkram", sagte der Drache, klaubte mit einer seiner Krallen in den Falten seiner Schuppen und warf eine Handvoll Kupfermünzen in die Schale.

"Ich hatte eine tolle Zeit. Entschuldige Mönch, mit dem Segen der Götter natürlich, aber ich hatte wirklich Spaß. Über die heißen Quellen bin ich nicht hinaus gekommen. Habe da ein paar tolle Kumpels getroffen. Alles Familienväter in der gleichen Lage wie ich, die entspannen wollten. Wir haben uns prima unterhalten und Erfahrungen ausgetauscht. Dreimal am Tag war ich in den heißen Quellen und dreimal in der Höhle mit den heißen Dämpfen. Und am Schluß jedes Tages sind wir unter den kalten Wasserfall gegangen. Da fühlt man sich wie neugeboren. Ich kann Euch das nur dringend empfehlen. So ein, zwei Badewochen sind sehr gut für die Gesundheit."

"Du siehst aber nicht gerade gesund aus", sagte Martina, die weider herangekommen war. "Und Du riechst wie ein Wirtshaus am Montagmorgen." "Na ja", sagte Akid Kupferdrache. "Da war so ein weiser alter Silberdrache, der meinte, daß das viele Schwitzen den Körper austrocknet. Wir haben für ein paar Juwelen die ganzen Orks der Gegend angeheuert. Die haben uns alle Äpfel und Birnen und Pflaumen gebracht, die um die Quellen herum wachsen. Die haben wir in eine Höhle geschafft und dann ganz vorsichtig Drachenatem hineingeblasen. Es hatte immer einer von uns Feuerdienst. Ganz sanft blasen, versteht Ihr? Das Zeug, das von den Höhlenwänden heruntertropfte, war köstlich!"

"Du bist immer noch betrunken", sagte Martina vorwurfsvoll. "So kannst Du nicht nach Hause." "Braucht er doch auch nicht", sagte Fontes. "Mein Vater ist manchmal auch erst wieder nach Hause gegangen, wenn er wieder nüchtern war."

"Bravo Mönchlein", sagte der Drache. "Du gefällst mir immer mehr". Er schnappte mit einer Klaue auf Fontes Kutte und die Kutte gab einen hellen Klang. "Ich bleibe erst einmal einen Tag hier und schlafe mich aus. Bitte sprecht zwischendurch nicht so laut und Schreien vertrage ich schon gar nicht."

Akid Kupferdrache suchte sich eine schlammige Stelle am Flußufer aus und wühlte sich in den Grund. Wir gingen leise die Klippe hinauf und bald hörten wir von unten ein mächtiges Schnarchen.

Die Sonne des neuen Tages brannte heiß vom Himmel. Während wir frühstückten war Akid Kupferdrache kurz aus seinem Gesundheitsschlaf erwacht, hatte ein Bad genommen und sich dann wieder eine schlammige Stelle am Ufer gesucht, an der er weiterschlief oder vor sich hindöste.

Unsere Tagesarbeit bestand heute in dem Vermessen des Burggeländes. Wir schlugen Pflöcke in den Boden und maßen das Gelände mit Hilfe unseres Seils mit Schritten ab, bis Donisl einen geraden Stock aus einem Gebüsch schnitt und Martina bat, kurz stillzuhalten, sie habe so eine handliche Größe. Er kürzte den Stock auf ihre Länge und markierte dann das Maß zur Sicherheit mit tiefen Kratzern auf einer Steinplatte der Klippe.

Also maßen wir unsere Burg im Gnomenmaß aus. Fontes hatte drei Blätter seines kostbaren Pergaments geopfert und Martina schrieb in kleiner Schrift die Maße auf, die Donisl ihr zurief. Donisl hatte es wieder einmal verstanden, die Aufsicht über alles zu führen. Fontes fühlte sich bald irgendwie überflüssig und verschwand heimlich von der Klippe.Nach einiger Zeit sah ich ihn zur Flußinsel schwimmen, wo er einen ausgedehnten Erkundungsgang unternahm.

Als auch ich die Meßleute verließ, um einen Eintopf für unser Mittagessen anzusetzen, war er wieder zurück und saß neben dem Drachen im Schlamm. Er hatte eine neue Lebensaufgabe gefunden. Fontes bemühte sich ernsthaft darum, einen ganzen Drachen einzubuddeln. Mit dem Schwanz hatte er schon schöne Fortschritte erzielt, und machte sich nun daran, die linke Hinterklaue mit Schlamm zu bedecken. Die Augenlider des Drachen begannen zu zucken und plötzlich war ein halbgeöffnetes gelbes Auge auf den eifrig wählenden Mönch gerichtet. Das Auge öffnete sich ganz und dann bewegte sich der Drache mit unerwarteter Ge-schwindigkeit. Die Vorderklaue schloß nach hinten und faßte den Mönch um die Mitte. Akid Kupferdrache machte eine schwungvolle Bewegung und Fontes flog im hohen Bogen in den Fluß. Als er hustend und spuckend wieder auftauchte, grinste der Drache genußvoll.

"Das Mönchlein hat recht", sagte er heiter. "Man fühlt sich gleich besser, wenn man den Kleinen etwas gründlich erklärt hat." Er drehte sich um und Fontes zog sich am Drachenschwanz wieder ans Ufer.

Er bestätigte die eigenen Worte. Er nahm nichts übel, trocknete sich ab, zog sich an und begann dann, mir bei der Zubereitung des Mittagessens zu helfen. Was ihn jetzt bewegte war die Frage, was der Drache mitbringen werde, wenn er wieder nach Hause käme. Sein Vater habe nach einer längeren Reise immer etwas mitgebracht. Akid Kupferdrache meinte, er wurde auf dem Heimflug noch ein wildes Rind schlagen, dann habe er seine Pflichten der Familie gegenüber erfüllt. Fontes schaute enttäuscht.

Aber es war ja schon Vorsorge getroffen worden. Ich hatte beabsichtigt, auch das Wohlwollen der Drachenfrau zu gewinnen, trotz der mißlichen Geschichte mit den Nixen. Ich wies Fontes an, zu seinem Maultier zu gehen und den Beutel mit den bunten Steinen zu holen. Ich ließ die farbigen Gläser und Kristalle auf eine Decke rollen. Dies sei als Geschenk unserer Gruppe für die Kinder gedacht gewesen, falls wir einmal Akids Höhle besuchen sollten.

Aber da sich sobald doch keine Gelegenheit ergeben würde, könne der Drache die Steine gleich jetzt mitnehmen. Akid Kupferdrache war begeistert. Es ist unglaublich, was eine Drachenklaue fertigbringt. Sie kann nicht nur Felsen zertrümmern. Mit der Daumenkralle und einer Fingerkralle faßte der Drache einen einzelnen Stein und hielt ihn gegen die Sonne. Das Glas schimmerte in allen Farben. Ebenso strahlte der Drache.

Es sei enorm wichtig, erklärte er uns, Drachenkindern die Schönheit von Juwelen schon früh beizubringen. Man könne nicht früh genug damit anfangen. Das Geschenk sei genau das richtige für die Kinder. Auch sein Vater habe ihm vor Hunderten von Jahren schöne Steine zum Spielen geschenkt. Er habe sie immer noch in irgendeiner Schachtel und betrachte sie, falls sie ihm wieder einmal zwischen die Krallen falle, mit heimlicher Rührung. Dann fühle er sich wieder in die Träume seiner Kindheit versetzt.

Er verstaute die Steine sorgfältig in einer Halsfalte und verabscheidete sich herzlich. Er klopfte Fontes mit seiner Klaue ein paarmal auf den Rücken, was aber wegen der magischen Robe keinen Schaden anrichtete. Fontes geriet lediglich ins Taumeln. Akid Kupferdrache war wegen des Kochfeuers sogar so rücksichtsvoll, zur Klippe hinaufzusteigen und nicht gleich loszufliegen.

Von unten sahen wir, wie er den Barbaren mit einem kameradschaftlichen Schulterklopfen in das Gras streckte. Dann erhob sich der Drache mit rauschenden Schwingen in die Luft. Er schraubte sich schnell höher, bis hinauf zu den Wolken und dann flog in einer langen geraden Linie in Richtung des Tafelberges.

Morgen oder übermorgen wollten wir aufbrechen und so schnell wie möglich nach Ber Gama reiten. Ille's Gasthaus würden wir nachts umgehen. Nur Donisl sollte sich heimlich in den Ort schleichen und Svenrho informieren.

Donisl war jetzt auf der Klippe und fertigte einen langwierigen Zauber für leichtes Unwohlsein an, der verhindern wurde , daß sich dort während unserer Abwesenheit für längere Zeit unwillkommene Besucher niederließen.

Die anderen waren schon beim Morgengrauen zu einem kleinen Erkundungsritt in die nähere Umgebung aufgebrochen. Ich bewachte das Lager und spazierte am Flußufer auf und ab. Mein linkes Bein, das bei unserer ersten Begegnung mit dem Kupferdrachen durch den Sturz in den Graben in Mitleidenschaft gezogen worden war, schmerzte. Ich rollte das Hosenbein hoch und fühlte in der Gegend des Knies noch eine leichte Schwellung. In einem klaren Tümpel neben dem Fluß sah ich einen Blutegel an einem Schilfhalm pendeln. Das war eine brauchbare Idee. Das Ansetzen von drei oder vier Blutegeln würde den Rest des Blutergusses herausziehen.

Ich zog die Schuhe und die Hosen aus trat in das Wasser und griff schnell nach dem Egel. Ich hielt ihn in der hohlen Hand bis ich merkte, daß er sich in der Haut festbiß. Ich fing einen zweiten Blutegel und auch der saugte sich brav fest. Ein dritter und ein vierter folgten. Die Egel hingen jetzt wie kleine Haken an der Haut. Der größte war fast spannenlang und wurde noch größer werden, wenn er sich vollsaugte.

Nach dem leichten Ziepen, als sich die Egel durch die Haut sägten, merkte ich nichts mehr. Es war eher ein wohliges Bewußtsein, daß die kleinen Helfer das überflüssige Blut aus der Schwellung saugen würden. Ich besah mir die Egel aus der Nähe. Das feuchte grün-schwarz der Leiber mit dem unregelmäßigen roten Streifen bildete ein interessantes Muster. Ich geriet ins Träumen.

Das Muster der Egel ergebe vergrößert einen pfiffigen Entwurf für einen Kleiderstoff. Er müßte besonders dunkelhaarigen Frauen gut stehen. Ich beschloß, die Sache nach unserer Rückkehr mit Jamba zu besprechen. Er könnte für die nächste Saison mit etwas wirklich Neuem und Flottem aufwerten. Raffaela würde die erste sein, ein Kleid aus diesem Stoff zu tragen. Sie hatte ja schon einmal eine neue Mode in der Gesellschaft von Ber Gama eingeführt.

Ich lächelte und spielte mit den Fingern in dem feinen Uferschlamm. Ein leises Geräusch riß mich aus meinen Träumen und ich drehte mich um. Keine zehn Schritte hinter mir hielt ein Reiter auf einem fahlen Maultier. Der Mann war mittelblond und lang aufgeschossen. Aus einem länglichen, etwas sommersprossigen Gesicht sahen mich zwei kalte blaue Augen höhnisch an.

Ich wollte mich aufrichten, als der Mann leise zu sprechen begann. Der Boden gab plötzlich unter mir nach,und ich versank bis zu der Hüfte im Schlamm. In Augenblicken der Not entwickeln sich in mir ungeahnte,tief verborgene Kräfte.

Ich warf eine Handvoll Schlamm auf den Mann und begleitete den Wurf mit einem bösen Wort. Die nasse Erde wurde zu einer mächtigen Schlammwoge, die auf den Mann zurollte. Er machte eine Geste, und eine Felsmauer hielt die Schlammwoge auf. Ich zischte ein neues Wort, und ein heulender Sturm fegte auf den Reiter zu. Die Felsmauer zerbarst.

Aber mit einer neuen Bewegung zauberte er eine glitzernde Eiswand vor sich, an der mein Sturm vergeblich zerrte. Ich brauchte nur einen winzigen kleinen Augenblick Zeit. Um meine Fingerspitzen tanzten bereits die ersten Flammenzungen. Doch der Mann war schneller. Das Gras am Ufer, das Schilf und die Wasserpflanzen um mich herum wuchsen und wuchsen. Sie hüllten mich ein und fesselten mich. Nur noch meine rechte Hand war frei,und die kleinen Flammen an den Fingerspitzen erloschen.

Vor meinem Gesicht schwebten ein einzelnes Blatt Pergament und eine schon eine in Tinte getauchte Feder. Auf dem Pergament stand in meiner Handschrift: "Mein Sohn Nicolas ist stärker als ich." Es folgte meine Unterschrift. Darunter stand mit einem anderen Datum: " Mein Sohn Nicolas ist klüger als ich." Ich biß die Zähne zusammen und schrieb: "Mein Sohn kann auch besser zaubern als ich."

Das schlingende Gewächs fiel von mir ab, und ich wuchs mit Kettenhemd, aber ohne Hosen und Schuhe, aus dem Schlamm nach oben.

"Was hindert mich jetzt daran, Dich von Deiner Mähre herunterzupflücken und Dich zu verdreschen?" fragte ich. "Ich kann schneller laufen als Du, alter Mann", sagte mein kleiner Flegel.

"Und ohne Hosen siehst Du lächerlich aus. So kann ich keinen Respekt vor Dir haben." "Du hast mich heimtückisch überfallen", schrie ich zornrot, "mich, Deinen eigenen Vater!"

"Ich habe mich nur gewehrt", verteidigte sich Nicolas lügnerisch. "Als Du mich kommen hörtest, hast Du gegrinst und in den Schlamm gegriffen. Und ich habe gesehen, wie Deine Lippen sich bewegten."

"Du hast mich in Lebensgefahr gebracht, obwohl Du weißt, daß ich ein schwaches Herz habe."

"Ja", höhnte Nicolas, "bei gutem Wein und bei gutem Essen und was es sonst noch an guten Dingen gibt. Aber ich bin gerade richtig gekommen, um Dich und Deine einfältigen Begleiter aus Lebensgefahr zu erretten. Und so wird es mir gedankt!" Er sah überzeugend traurig aus.

Nicolas zeigte über das Flußufer zur anderen Seite, wo auf einem hohen Hügel die Jahrhunderteiche stand: "Da wohnt ein alter Bekannter von Dir. Der Weiseste der Weisen, der Mächtigste der Mächtigen, der Furchtbarste der Furchtbaren, wenn er in Zorn gerät. Und mein kluger Vater ist schon seit Tagen hier und hat nichts gemerkt".

Ich blickte hinüber. Die Eiche streckte ihre Äste malerisch gegen den blauen Himmel. Schäfchenwolken zogen darüber hin. Ich strengte meine Augen etwas mehr an. Über den Hügel zogen sich Haselnußsträucher zwischen saftigem grünen Gras. Wie damals Martina vor dem dreieckigen Turm, legte ich meine Finger auf die Stirn und drückte die Daumen gegen die Schläfen.

Die Eiche sprang näher. Auf der Wiese wuchsen Kornblumen, Mohn und, verdammt noch einmal, Malven, richtige Malven. Er wohnte tatsächlich dort.

"Ich habe ein Geschäft mit ihm gemacht", sagte Nicolas. "Ich habe bekommen, was er haben will, und damit er auch wirklich in Stimmung ist, den vereinbarten Preis zu zahlen, habe ich meine Vorbereitungen getroffen. Ich habe einen Sack Mehl mit, einen Sack Haselnüsse und ein Säckchen Rosinen. Pimpardil liebt Süßigkeiten noch genauso wie früher. Ich habe gedacht, ich müßte selber den Kuchen backen, aber jetzt hat mir der Himmel einen Koch beschert. Ich fühle mich erleichtert."

Ich fühlte mich nicht so erleichtert. Ich hatte Nicolas hundertmal verboten, Geschäfte mit Pimpardil zu machen, bis er alt genug dazu war. Aber es war wohl geschehen. Und Nicolas war zur rechten Zeit gekommen.

Ich stellte mir vor, wie Pimpardil uns seit Tagen beobachtete und mit höllischer Freude darauf wartete, daß wir ihn endlich entdeckten und unseren Antrittsbesuch machen. Er würde es uns eintunken. Er würde es vor allem mir mit größter Freude eintunken. Denn bei unserem letzten kleinen Handel hatte ich besser abgeschnitten, als er beabsichtigt hatte. Aber nun waren wir gerüstet.

Wir würden der größten Gefahr unseres Abenteuers nicht mit einer magischen Wand aus Stahl begegnen, sondern mit einer Reihe süßer Kuchen. Wir wurden einen lieben alten Freund zum Tee besuchen und das Anstandsgeschenk mitbringen. Ich würde den alten Halunken um den Finger wickeln und ihn immer wieder auffordern, noch ein Stückchen zu nehmen. Wir würden von vergangenen Zeiten plaudern und uns dabei köstlich amüsieren.

Ich zog Hose und Schuhe wieder an und wir eilten zum Lager. Ich pfiff schrill auf den Fingern, um Donisl von der Klippe herunterzuholen. Aber nicht nur sein Kopf tauchte zwischen den Felsen auf, sondern auch der des Barbaren und der des Diebes. Dann hörte ich Hufgetrappel, und die beiden ritten mit Martina um die Klippe an das Ufer herunter. Donisl lief keuchend hintendrein. Nur Fontes war nicht von der Aufregung, einen Fremden am Lager zu sehen, angesteckt. Er trödelte geruhsam auf seinem Maultier hintendrein.

Ich stellte Nicolas der Gruppe vor und er verneigte sich mit der angemessenen Würde dessen, der schon in jungen Jahren einen schönen Rang als Magier erreicht hat. Ich war stolz auf ihn. Donisl verbeugte sich gleichfalls auf das Höflichste, und ich ahnte, wie seine Nackenhaare sich sträubten. Zwei Kater in dem selben Keller voller Mäuse, die sich gegenseitig belauerten. Trent d'Arby als künftiger Landesherr bat um Aufklärung. Was führte Nicolas hierher, wie hatte er uns gefunden?

Nicolas berichtete und Donisl und Martina zuckten bei Pimpardils Namen zusammen.

"Er ist einer der größten Magier unserer Zeit", erklärte Donisl erschüttert. "Er ist so mächtig, daß es für ihn selbstverständlich ist, zwischen einem bösen Geist und einem Drachen zu wohnen, nur um seine Ruhe zu haben. Wenn er uns bittet, eine Tagesreise weiter flußaufwärts oder flußabwärts zu siedeln, weil der Lärm der Bauarbeiten oder die Leute ihn stören, dann werden wir es widerspruchslos tun. Wir kommen nicht gegen ihn an. Ich hoffe, daß er uns überhaupt vorläßt, wenn wir bei ihm vorzusprechen versuchen".

"Halt", unterbrach ich. "Es ist nicht so schlimm, wie Ihr denkt. Ich kenne Pimpardil von früher. Wenn wir ihn richtig anfassen, haben wir nicht die geringsten Schwierigkeiten."

Donisl starrte mich empört an. "Niemand kennt Pimpardil einfach so von früher", protestierte er.

"Ein Gastwirt kennt aber alle möglichen Leute", gab Fontes zu bedenken.

"Hört jetzt genau zu", fuhr ich fort. "Ihr seid bei unserer kleinen Reise ganz gut gefahren, wenn Ihr gelegentlich auf meinen Rat gehört habt. Wir müssen Pimpardil sofort besuchen, das steht fest. Am besten noch heute nachmittag zur Teezeit. Pimpardil hat eine kleine Schwäche für die Teestunde am Nachmittag und eine kleine Schwäche für Süßigkeiten. Wir werden deshalb Kuchen backen, uns fein machen und ihm einen Höflichkeitsbesuch abstatten."

"Du hast den Verstand verloren", keuchte Donisl. "Man geht nicht zu einem Magierfürsten zum Tee. Er wird uns allesamt in Kröten verwandeln und dann zertreten." "Donisll, beruhige Dich", sagte ich. "Halt Dich aus der Sache heraus, wenn sie Dich zu sehr aufregt. Wenn Du Angst hast, brauchst Du auch nicht mitzukommen. Aber Dir würde eine sehr wichtige Verbindung für Deine weitere Karriere entgehen, wenn Du Pimpardil nicht persönlich kennenlernst. Trent, lauf in den Wald und suche Erdbeeren. Loger geht mit und sammelt Blaubeeren. Für den Nußkuchen brauchen wir Honig. Bewegt Euch!"

"Alles klar, Onkel", sagte Fontes heiter. "Ich habe da schon seit ein paar Tagen eine kleine Gelegenheit ausbaldowert". "Ist das auch ein Dieb?" flüsterte Nicolas in mein Ohr. "Nein", erwiderte ich. "Er ist ein echter Mönch. Er paßt sich nur in seinen Redewendungen allmählich der Umgebung an. Er spricht mit Tieren und wird irgendeinem Bienenvolk Honig abhandeln, nicht stehlen. Hol die Zutaten heraus, die du mitgebracht hast." Nicolas begann, seine Satteltaschen auszupacken, und Martina schüttete die Nüsse und die Rosinen auf ein Tuch, um sie zu sichten.

Ich bat Donisl, mit mir ans Ufer zu kommen. Mit der Hilfe seiner Magie hatten wir in weniger als einer Stunde einen prächtigen Runden Backofen aus Lehm gebaut, der eine schöne Hitze ausstrahlte. In dem großen Topf rührte ich den Teig an. Fontes kam vergnügt und honigverschmiert aus dem Wald und trug in seiner Bettelschale übereinander gestapelt Waben. Trent d' Arby hatte so viele Erdbeeren gefunden, da es für zwei Böden reichte. Logers Blaubeeren waren haselnußgroß und zuckersüß. Ich formte die Teigböden und schob sie in den Ofen. Nicolas zerrieb die mitgebrachten Nüsse und mischte sie mit den Rosinen, dem Teig und einer reichlichen Portion Honig.

Eine Honigwabe wollte Fontes aber nicht herausgeben. Er hatte sich etwas Besonderes als krönenden Abschluß ausgedacht. Er sammelte Lilienblüten vom Ufer und bat Martina, sie mit einem zauberhaften Wind aus ihrer Heimat so zu trocknen, das sie ihre Form behielten. Dann träufelte er Honig über die Blüten und der heiße Wüstenwind formte ihn zu kleinen Kristallen. Fontes legte die getrockneten Blüten vorsichtig in einem sauberen Kreis in seine Bettelschale.

Ich scheuchte die Gesellschaft auseinander. Jeder sollte sich fein machen. Ein verhextes Stück Baumrinde aus Nicolas Taschen hatte uns sicher und bequem über den Fluß getragen.

Wir standen vor Pimpardils Eiche. Ein paar letzte Ermahnungen mußte ich noch loswerden. "Macht keine Geschäfte mit ihm! Der alte Fuchs würde Euch über das Ohr hauen. Egal, was er bietet, es wird zu wenig für das sein, was er verlangt. Ansonsten ist er zwar der größte Magier, den ich kenne, aber ein netter Kerl. Benehmt Euch so, als wärt Ihr bei der Königinmutter eingeladen. Respektvoll aber ganz zwanglos".

"Wieviel Stück Kuchen darf ich denn essen, wenn es ganz zwanglos zugeht?" fragte Fontes.

Ich klopfte an die Rinde des Baumes. Ein Tor sprang auf und da stand er vor uns. Ganz unverändert, so wie ich ihn in Erinnerung hatte. Klein und in seiner bescheidenen Robe, und sein altes Uhugesicht strahlte vor Freude. Die zerzausten weißen Haare sträubten sich wie Federn um seinen Kopf herum. Er schüttelte mir lange die Hand. Er nahm Martinas Knicks mit der gebührenden Achtung entgegen und war sehr huldvoll, als sich die beiden jüngeren Magier tief vor ihm verbeugten. Als er Loger begrüßte, kniff er schelmisch ein Auge zu. Fontes tätschelte er die Wange, was diesen sichtlich verlegen machte. Trent d'Arby bemühte sich, die Greisenhand vorsichtig zu fassen, zuckte dann aber unter Pimpardils Händedruck schmerzvoll zusammen.

Pimpardil führte uns durch die weite Eingangshalle und dann durch seinen Spiegelsaal. Ich kontrollierte schnell mein Äußeres und war zufrieden. Mein Mantel war genügend abgetragen und mein Kettenhemd war gepflegt, aber sichtbar alt. Es war das Spiegelbild eines redlichen und bescheidenen Mannes, der keinerlei Reichtümer sein eigen nennt. Ich konnte Pimpardil zwar nicht täuschen, aber er erwartete von mir der Form halber mindestens einen Versuch. Ich begann, leicht auf dem linken Bein zu hinken, ließ es aber dann nach ein paar Schritten sein. Das Hinken war eine nutzlose Übertreibung.

Pimpardil ging mit Martina voraus. Er führte sie jetzt eine breite Treppe nach oben. Ich wußte, er würde uns auf seine Terrasse bringen. Pimpardil liebte Terrassen und hatte sie noch in jede Wohnung hineingezaubert, in der er auch nur für ein paar Tage lebte.

Als ich mich vor sehr vielen Jahren einmal in Be Gama für einige Tage zurückziehen mußte, um ein Gespräch mit der Stadtgarde zu vermeiden, hatte er mir geholfen. Wir hatten uns im Hafen unter einer Pier versteckt. Pimpardil hatte zwischen zwei verfaulten Balken eine kleine Terrasse gezaubert, auf der er in aller Seelenruhe saß, Schmalzgebäck kaute und seine Zauberbücher studierte oder sich sonnte, während ich, der nicht so vollkommen an die Kraft seiner Magie glaubte, furchtsam in einer dunklen Ecke saß und auf die toten Fische starrte, die vorbeitrieben.

Die Terrasse hier war ein Meisterwerk. Ich wußte nicht, ob wir uns tief unter den Wurzeln der Eiche befanden oder hoch oben in der Krone. Jedenfalls betraten wir eine große Fläche aus rosa Marmor, an deren Seiten sich Kletterrosen und bunte Wicken hochrankten. Über die Brüstung hatte man einen wundervollen Blick in das Tal und auf den Fluß. Ein großer Tisch war mit feinem Damast und goldgerändertem Porzellan gedeckt. Die Teekanne dampfte.

Pimpardil gab sich überrascht und entzückt, als wir die Kuchen auf dem Tisch verteilten. Er bat Martina und Fontes, sich neben ihn zu setzen. Die Teekanne schwebte auf seinen Wink über die Tassen und schenkte ein. Dann griff Pimpardil zu. Während der ersten beiden Stücke des Erdbeerkuchens plauderte er mit Martina. Er fragte sie nach ihrer Studentenzeit und nach diesem oder jenem alten Kollegen an der Universität. Er beglückwünschte sie zu ihrem schönen Examen und meinte, viele seiner besten Studenten seien Gnomen gewesen, ein Volk besonderer Intelligenz und großem Arbeitseifer. So erinnere er sich zum Beispiel an einen jungen Adligen aus Martinas Volk, der vor einigen Jahren ein vielbeachtetes ausgezeichnetes Examen in Ballistik und Kriegsgeschichte abgelegt habe. Martina wurde rot.

Bei den nächsten beiden Stücken unterhielt er sich mit Fontes über geistliche Lyrik und leitete dann unauffällig auf die weltliche über. Er habe gehört, daß neulich in Be Gama einige ganz entzückende Oden eines gewissen Fontana veröffentlicht worden seien. Alle Welt rätsele darüber nach, wer der geheimnisvolle Autor sei. Man vermute, ein sehr romantischer junger Mann von altem Adel. Fontes Gesichtsfarbe wurde merklich dunkler.

Beim Blaubeerkuchen sprach er mit Loger über dessen Meisterprüfung und über das Fälschen von Dokumenten. Er gab ihm den wertvollen Hinweis, daß echte alte Adelsbriefe meist nach Weihrauch röchen, weil viele Familien den ersten Adelsbrief ihrer Sippe im Hausaltar verwahrten. Pimpardil las also völlig schamlos in den Gedanken seiner Gäste und hatte noch nicht einmal so viel Anstand, es zu verbergen.

Ich sah, wie Donisl sich plötzlich an die Schläfen faßte und Pimpardil empört ansah. Aber dieser langte völlig ungerührt zum Nußkuchen und dozierte, ein Magier müsse immer und überall für jeden Handgriff Geld verlangen. Alles andere sei standeswidrig. Die Unterhaltung wurde ruhiger.

Pimpardil lehnte sich zurück und ließ sich von Fontes, gewissermaßen als Nachtisch, einige der gezuckerten Lilienblüten reichen. Der alte Fuchs war zu vorsichtig, um selbst über die Bettelschale zu greifen.

Jetzt war ich dran, ich spürte es genau. Pimpardil sah mich über den Rand seiner Teetasse höhnisch an. Er begann mit einer harmlosen Stichelei. Was sei eigentlich aus jener fabelhaften Rosi geworden, die meine schon damals geringe Aufmerksamkeit vollends vom Unterrichtsstoff abgelenkt habe. Ich erwiderte gelassen, sie sei schon bald in den Hafen der Ehe geflüchtet. Das arme Ding habe das Gefühl gehabt, einige der Universitätsprofessoren stellten ihr zu sehr nach, vor allem solche, die schon sehr fortgeschrittenen Alters gewesen seien. Das war ein voller Punkt für mich. Pimpardil faßte sich schnell und erwiderte mit einem Tiefschlag. Er bedauerte es sehr, daß ich damals von der Universität relegiert worden sei. Er habe sich für mich eingesetzt, aber die Sache damals habe eben das Ausmaß eines harmlosen Studentenulks doch überschritten.

Nicolas hörte interessiert zu. Diese Information war neu für ihn. Der Familie hatte ich, als ich gelegentlich gefragt wurde, eine bereinigte Fassung erzählt. Pimpardil war zufrieden. Ich mußte schnell etwas zurückgeben, um diese Zufriedenheit zu dämpfen. Vor vier oder fünf Jahren war aus der Schatzkammer des Herzogs ein magisches Juwel gestohlen worden. Niemand hatte gewußt, wozu es eigentlich taugte, nur daß es eben magisch war. Die Sache war aus zwei Gründen interessant. Der Herzog hatte sehr an dem Plunder gehangen, und heute noch war eine horrende Belohnung für die Ergreifung des Diebes ausgesetzt. Der andere Punkt war, daß das Juwel in einem Pentagramm gelegen hatte, das noch von dem alten Aragon selbst stammte. Es war eigentlich unmöglich gewesen, es zu stehlen. Ich fragte Pimpardil also zuckersüß, in letzter Zeit höre man so viel über das Abhandenkommen magischer Juwelen. Ob er besondere Gründe gehabt habe, sich für Jahre in die Einsamkeit zurückzuziehen und der Welt zu entsagen.

Pimpardil sah mich mit einem eigenartig veränderten Ausdruck an: "Ja, ich will dieser Welt entsagen. Ich habe beschlossen Halbgott zu werden!"

Die Teetasse fiel aus meiner Hand und zerschellte auf dem Marmor. Über die Terrasse breitete sich ein bleiernes Schweigen aus. Ich hatte das Gefühl, mein Herz stehe still.

"Pimpardil", sagte ich, "das ist vermessen. Du bist gerade einhundertzehn oder einhundertzwanzig Jahre alt. Für einen Magier Deines Formats ist das sehr jung. Du brauchst noch mindestens zweihundert Jahre, um das Wissen zu erlangen, das Du brauchst, um auch nur die Schwelle des Himmels zu sehen." "Ich bin der größte Magier dieser Zeit", sagte Pimpardil bescheiden. "Ich habe die Schwelle des Himmels schon oft gesehen. Ich brauche nur ein wenig mehr Wissen, um sie zu betreten. Sei wieder heiter Gregor, lach wieder. Du wirst mir helfen, dieses Wissen zu erlangen. Ich werde so gut zahlen wie noch nie und wir werden alle unseren Spaß haben, wie in den alten Zeiten." "Für diesen Spaß bedanke ich mich", schrie ich. "Ich will hier eine Stadt gründen, für meine Söhne und die jungen Leute hier. Sie sollen es besser haben, als ich es hatte. Eine Stadt, in der Mensch und Elf und Zwerg und Troll friedlich nebeneinander leben. Und eine Stadt, in der auch ein Drache auf dem Markt seine Rinder kaufen kann, ohne daß sich jeder gleich in die Hosen macht und nach vergifteten Speeren schreit. Weißt Du eigentlich, wieviele Drachen es noch gibt? Die goldenen Drachen sind nur noch ein Märchen und die paar Silberdrachen, die noch leben, zähle ich Dir jeden mit Namen an den Fingern einer Hand auf."

"Wenn es Dich tröstet, Gregor", sagte Pimpardil. "Ich weiß von zwei Eiern, die gerade bebrütet werden und aus denen schon in ein paar Monaten goldene Drachen schlüpfen. Und Deine Stadt sollst Du auch haben, niemand hat etwas dagegen. Ich freue mich schon darauf, als alter Mann verkleidet Dein Gasthaus zu besuchen. Aber bevor Du Dich zur Ruhe setzt, könntest Du noch ein paar Kleinigkeiten für mich erledigen. Im Turm von Kaldor liegen ein paar Bücher, die ich gerne hätte. Nur von ein paar vertrottelten Dämonen bewacht, die seit hundert Jahren niemand mehr herausgefordert hat. Die Dämonen sind nachlässig geworden. Du kannst Dich an ihnen vorbeischleichen, während sie schlafen. Zehntausend Kronen für jedes Buch, das Du mir bringst!"

"Nein", sagte ich, "hundertmal nein!" "Zu anspruchslos, nicht wahr? Entschuldige bitte. Ich hätte da noch etwas. Das Juwel aus dem Keller des Herzogs, an das Du vorhin gedacht hast, war fast wertlos. Es hat mir gerade fünf Jahre Langlebigkeit verschafft. Ich weiß jetzt, wo das richtige Juwel liegt, das einhundert Jahre garantiert. Die Aufgabe ist reizvoll und ich zahle entsprechend. Es liegt in der ausgebrannten Königsburg von Khan. Der Krieg ist dort fast zu Ende. Die Truppen der einen Seite sind verbraucht und mutlos und die des Siegers übermütig und sorglos. Der Tod hat nur einen Lehrling dagelassen, der dreimal in seinen Listen nachschaut, bevor er jemanden anzusprechen wagt. Die dortigen Dämonen sind unangenehm, aber fett und vollgefressen. Alles junge Burschen ohne Erfahrung, denen es der Krieg zu leicht gemacht hat. Mit einer Mannschaft, wie Du sie jetzt hast, ist es nicht mehr als ein Spaziergang."

Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Ich habe mich zur Ruhe gesetzt, und die jungen Leute hier sind zu vernünftig, um sich auf solche Abenteuer einzulassen. Sie wollen siedeln."

Pimpardil lachte herzlich. "Du hast vor Vergnügen gehüpft wie eine Springmaus, als Du Dich von zu Hause loseisen konntest, um Sargons Schatz zu suchen. Und die jungen Leute hier werden es bald langweilig finden, Burgherren zu sein. Selbst Dein ernsthafter Barbar wird nach spätestens einem Jahr verzweifeln, wenn es keine Raufereien mehr gibt. Er sollte sich lieber darauf freuen, im nächsten Frühjahr loszuziehen, um Dämonen mit der flachen Klinge zu verdreschen. So lange hat die Sache noch Zeit." Pimpardil hob die Stimme: "Ich biete für jeden, der mitmacht, fünftausend Kronen im voraus und zehntausend bei Rückkehr. Einen magischen Helm für den Barbaren, einen Ring der Unsichtbarkeit für den Dieb, das Buch, das ich bis zu meinem fünfzigsten Jahr benutzt habe, für den Magier. Und Du Gregor, darfst Dir etwas wünschen."

"Ich wünsche mir, daß Du aufhörst, in meinen Gedanken zu lesen, und daß Du mich nicht mehr bedrängst. Und ich wünsche, daß Du aufhörst, die jungen Leute zu verlocken. Ich hatte mich darauf gefreut, Dich wieder zu sehen, aber Du bist zu ehrgeizig geworden. Ich verstehe Dich nicht mehr." Ich stand auf.

"Öffnet Eure Herzen füreinander", sagte Fontes in die Stille. "Wie ich es verstanden habe, seid Ihr alte Freunde. Verzeiht, daß der Jüngste redet, aber es ist meine Pflicht als Mönch des Grauen Ordens."

"Nimm noch ein Stück von dem Nußkuchen Mönch", sagte Pimpardil, "damit es Dir nicht auf den Magen schlägt, wenn ich mein Herz öffne. Setz Dich wieder Gregor. Jetzt wollen wir ernsthaft verhandeln. Ihr anderen hört weg, wenn Euch Euer Leben lieb ist." Er hob die Hand zu einer Geste.

"Ich will zuhören", sagte mein braver Nicolas, "damit ich verstehe, warum mein Vater mich gewarnt hat, mit Dir Geschäfte zu machen."

"Ich will zuhören", sagte Trent d'Arby, "weil Onkel Gregor unter meinem Schutz steht."

Auch die anderen nickten. Pimpardil lächelte milde. "Eine sehr wichtige Persönlichkeit hat in die Zukunft gesehen. In einhundert Jahren wird die neunköpfige Schlange das Meer verlassen und die Länder verwüsten. Die Herzogtümer werden sich erheben und gegen das Reich verbünden. Ich bin gebeten worden, mich um den Rang eines Halbgotts zu bemühen, damit in dieser Zeit ein Vermittler zwischen dem Reich und den Göttern vorhanden ist."

"Wer hat Dich gebeten?" höhnte ich. "Die zweitschönste der Göttinnen, die schwarze Schlange, der wir als Kinder nachgelaufen sind?"

"Nein", sagte Pimpardil. "Die Göttin der Diebe hat mich nicht gebeten. Ich bin ihr nicht ehrlich genug. Es war die Göttin, die den Menschen auch einmal einen Fehler verzeiht und bei der Fünfe immer noch gerade sind. Die Göttin, die den Frühlingsregen schickt und den Sommerwind. Die Göttin der Ernte, die die Leute liebt. Sie läßt Dich herzlich grüßen."

Ich setzte mich wieder hin und dachte nach. Pimpardil sprach sicherlich nicht die Wahrheit, aber er log auch nicht zu sehr. Der Mantel der Göttin hatte uns einmal gestreift, und dies hatte wenigstens meinem Leben eine andere Richtung gegeben. Aber es war wenig wahrscheinlich, daß die Göttin mich überhaupt bemerkt hatte, geschweige denn, daß sie es wert fand, sich an meinen Namen zu erinnern. Doch es war schön, überhaupt an diese Möglichkeit zu denken. Pimpardil las wirklich nicht mehr in meinen Gedanken, denn er mißdeutete mein Schweigen.

"Es war nur ein Eröffnungsangebot, Gregor. Ich wollte Dich in Zorn bringen, weil man dann leichter mit Dir verhandeln kann. Ein Erdgeist ist mir verpflichtet. Wenn Du mir hilfst, nenn ich Dir seinen Namen. Gib ihm einen Becher Deines Bluts zu trinken und er baut Deine Burg in sieben Tagen, größer, als Du es geplant hast. Ich kenne eine Horde Wassermänner. Wenn ich vermittle, kannst Du sie für ein Goldstück pro Mann und Tag anheuern, und Dein Hafen ist in einem Monat fertig. Denk an den kleinen Handel mit dem Ostreich, von dem Du mir damals jeden Tag vorgeschwärmt hast."

Trent d'Arby zischte leise zwischen den Zähnen und Donisl und Loger sahen mich mit funkelnden Augen an. Doch ich winkte ab. "Nein, ich bin zu alt für solche Geschäfte. Laß uns nicht mehr darüber reden, jedenfalls heute nicht". Pimpardil nahm es gelassen hin und fragte nach einem alten Bekannten, den wir Maus genannt hatten. Der, der damals durch den Kamin gekrochen war, um uns von innen das Tor eines gewissen Hauses zu öffnen. Ich erzählte, er sei rund und fett geworden und Stadtkämmerer in Mar Sa La. Eine Respektsperson und von jedem wegen seiner Redlichkeit geachtet. Pimpardil freute sich sehr. Um die Gesellschaft aufzuheitern, griff er mit gespielter Unvorsichtigkeit nach den letzten Lilienblüte in Fontes Schale und jammerte überzeugend, als er dann einen Silbergroschen hineinfallen lassen mußte. Er fragte Fontes und Martina dann eingehend nach unserer Schatzsuche.

Fontes, der vor dem angehenden Halbgott nur wenig Scheu zeigte, erzählte. Er klopfte auf seine Kutte und Pimpardil brummte beeindruckt. Fontes erwähnte die vier magischen Steine, derenBedeutung wir noch nicht kannten,und Pimpardil erwiderte prompt, es seien vier Steine der Ruhe. Sehr reiche Leute würden sich einen solchen Stein an die Kopfseite ihres Schlafzimmers einmauern lassen und blieben dann zuverlässig von Nachtgeistern verschont. Vier Steine auf einmal und von dem selben Magier gefertigt, seien natürlich etwas Besonderes. Man solle sie an den vier Ecken unserer Stadt vergraben, dann hätte die ganze Stadt friedliche Nächte und auch die Kneipenschlägereien verliefen wahrscheinlich in einem erträglichen Rahmen.

Ich war alarmiert. Pimpardil gab eine kostbare Information kostenlos heraus. Etwas war sehr faul. Pimpardil lächelte väterlich. "Tja, es wäre eine sehr reizvolle Aufgabe, die genaue Stelle für das Vergraben der Steine zu finden, so daß Himmel und Erde richtig zusammenwirken. Bei einem so seltenen Fund wäre es mir sogar möglich, einen Segenswunsch über die Steine zu sprechen. Einen Wunsch für Frieden, Wohlstand und Gedeihen. Wißt Ihr eigentlich, daß ich der einzige Magier der Welt bin, der die Wirksamkeit seiner Wünsche für neunundneunzig Jahre garantiert?" Die Gesellschaft schwieg verblüfft.

"Wieviel?" fragte Trent d'Arby vorsichtig. "Einhunderttausend!" strahlte Pimpardil. "Diese Kleinigkeit haben erfolgreiche Schatzsucher immer übrig." Trent d'Arby holte ein kleines Pergamentbündel aus seiner Tasche und rollte es ein Stück auf. Er runzelte die Stirn. "Siebentausendachthundertundfünfunddreißig haben wir übrig, aber wir wollen großzügig sein. Siebentausendachthundertundfünfzig!"

"Was?" kreischte Pimpardil. "Ich habe schon gemerkt, daß Du ein Flegel bist, als Du das letzte Stück Blaubeerkuchen genommen hast. Neunundneunzigtausend und kein Goldstück weniger. Das sind nur Tausend pro Jahr. Weißt Du eigentlich, was es kostet, ein Halbgott zu werden? Ich brauche nicht nur einen Fürsprecher, sondern auch zwei Bürgen. Ich muß für mindestens Dreihunderttausend Weihrauch verbrennen lassen, um die Bürgen zu finden".

Trent d'Arby rechnete nach. "Gut, runde Neuntausend, wenn Du das Geld so nötig hast."

Pimpardil lief rot an und spreizte die Finger. "Halt!" sagte ich. "Man darf keinen Gast am eigenen Tisch in eine Kröte verwandeln. Ich bin bereit, Dir das Geld für die Bürgen zu geben."

Wir sahen uns fest in die Augen. Diesmal würde ich das Geschäft machen. Ich ging um den Tisch herum zu Pimpardils Platz. "Den Wunsch", sagte ich, und Pimpardil nickte.

"Den Namen des Erdgeistes!" Pimpardil nickte wieder. "Die Wassermänner!" "Ja, doch", sagte Pimpardil. "Und einen Vertrag mit den Geistern des Tals!" "Auch das", sagte Pimpardil.

Ich öffnete die Hand. Die beiden Münzen, die ich aus Sargons Schale genommen hatte, fielen auf den Tisch. Die kleinen braunen Münzen, die der Windgott und der Feuergott persönlich in die Schale geworfen hatten, als Sargon Verzeihung erhielt. Pimpardils Hand schoß vor und krallte sich um die Münzen. Dann schob er sie lässig in seinen Gürtel. Er zwinkerte mit den Augen. "Denk immer daran, daß Du sie mir freiwillig gegeben hast, Gregor. Es ist eine Freude, mit Dir Geschäfte zu machen. Wir wollen auf den erfolgreichen Abschluß jetzt einen Becher trinken. Ich glaube, im Spiegelsaal ist schon gedeckt."

Wir waren am Flußufer versammelt. Ein scharfer Wind fegte durch das Tal und ein kalter Regen durchnäßte unsere Kleider. Loger duckte sich an die Seite eines borkigen Baumgeistes, der ungerührt dem Wetter trotzte. Neben Donisl und mir stand ein turmhoher pelziger Erdgeist. Ich hatte das Gefühl, er beäugte mit eindringlicher Freundlichkeit meine Arme, als müsse er sich entscheiden, aus welchem der Becher Blut gezapft werden solle. Trent d'Arby hielt in seinen Armen eine silbrige Nixe, die es so kurz vor dem Ereignis nicht mehr im Wasser gehalten hatte. Akid Kupferdrache hatte seine Klauen um Fontes und Martina gelegt, damit der Sturm sie nicht fortwehte.

Es waren viele gekommen, doch ich konnte nicht alle erkennen. Der Wind biß mir in die Augen, und viele Gestalten waren nebelhaft unscharf. Pimpardils Stimme erhob sich mächtig über den Sturm: "Die Stadt soll blühen und wachsen!"

Blitze zuckten und Donner grollte.

"Nun gut", beruhigte Pimpardil die Elemente. "Sie soll nicht gerade so weit wachsen, daß die Leute sich auf die Füße treten und daß die Kloaken überquellen."

Der Sturm flaute ab.

"Die Stadt soll reich sein", rief Pim pardil in den Wind. Wieder glühte der Himmel in gleißendem Licht. "Ich meine doch nicht richtig reich, verdammt noch mal!" brüllte Pimpardil. "Ich meine wohlhabend, hübsch wohlhabend."

Der Wind schlief ein und die Wolkendecke riß auf.

"Die Leute in der Stadt sollen Frieden miteinander halten." Er sprach ganz schnell weiter. "Jedenfalls so viel Frieden, daß niemand davon platzt oder eine schwarze Galle kriegt."

Pimpardil senkte die Arme und sprach in das sonnenbeschienene Tal: "Und weil ich so fürstlich bezahlt worden bin, noch eine Zugabe: So lange Gregor lebt, soll kein königlicher Zoll- oder Steuereinnehmer wissen, daß es dieses Tal überhaupt gibt!"

Mir traten die Tränen in die Augen. Am Himmel stand ein Regenbogen und zum zweiten Mal in meinem Leben spürte ich, wie der Mantel der Göttin uns streifte. Auch ich wurde in dieses Tal ziehen. Ich würde Alexander meinen Hammer schenken und Nicolas das kleine schwarze Buch, das ich unter meinem Gürtel auf der Haut trug.

Auch die gelegentlichen Abenteuer hatten jetzt ein Ende. Hier würde ich endgültig Ruhe finden.

Die Göttin lachte schallend.


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(c) 1993 Holger Provos